Deduktive Kunst Digitalisierung

Ernst Riemschneider

 

Dass die elektronischen Medien die in der Schriftkultur ent­wickelten Gesell­schaften, die sich vor allem seit der Erfin­dung der Buchdruckerkunst bildeten, völlig verän­dern wer­den, ist durch die wichtigen Untersuchungen Marschall Mc LUHANs [1] gesi­chert. Auch in der Kunst haben die neuen Medien zu wir­ken begonnen. Wenn auch der internationale Kunstmarkt Pro­dukte der Ölmalerei, die den traditionellen Me­dien zugehören, mit Preisen umwälzt, die bisher nicht er­reicht wurden (z.B. van GOGH), ist dies doch kein Anzei­chen für eine Zu­nahme an gesamtgesellschaft­licher Bedeu­tung.

 

Die Kunsttheorie für digital erzeugte und dargestellte Raum(zeit)gebilde aller Art steckt in den Kinderschuhen. Die we­nigen Künstler, die bisher mit diesen Medien umgehen, sind häufig unbelastet von der gesamten bisherigen Kunsttradi­tion, viele ihrer Werke muten daher, wenn man sie in den Gesamt­konnex der bisherigen Kunstäußerungen der Menschheitsge­schichte einordnet, an, als wollte uns ein Rad­fahrer einreden, er führe mit einem Porsche. Jede revolu­tionäre Neuerungsbe­wegung neigt auch dazu, das Bisherige vorerst krass und di­stanzierend abzulehnen.

Die folgenden Zeilen sind eine Anregung, ein Entwurf von Grundlagen einer Kunst­theorie für digital erzeugte und re­produzierte Raum(zeit)gebilde. Sie basiert auf einer Kunst­theorie, die alle bisherigen in sich enthält, die aber über diese auch weit, ja auch über alle möglichen Kunstäußerungen der digitalen Kunst, hinaus­reicht. Wenn wir hier Anregungen für die Kunstheorie der Digitalkunst geben, so ge­schieht dies gleichsam "zurück aus der Zukunft". [2]

1       Allgemeines

  Eine ausreichend profunde Kunsttheorie für digital erzeugte und dargestellte Kunstwerke muss zumindest in großen Zügen alle bisherigen Kunstäußerungen ken­nen und auch wenn sie darüber hinausgeht berücksichtigen. Nur so ent­geht sie ei­ner derzeitig verbreiteten Naivität. Ihr ist es aber auch infolge ih­rer technischen Fä­higkeiten gegeben und sie ist dazu berufen, eine Integration und Verbindung aller bisherigen Kunstäuße­rungen herzustellen. Damit leistet sie einen wichti­gen Schritt für die weitere Entwicklung der Kunst überhaupt. Ei­nige An­sätze hiezu seien im fol­genden gegeben.

2       Der Raum

Die Raumtheorie Peter WEIBELs

  Ein Pionier der elektronischen Kunst, Peter WEIBEL, sieht die Entwicklung in der bildenden Kunst durch die elektroni­schen Medien etwa darin, dass der Grundsatz der Zentralper­spektive, die seit der Renaissance gültig war, auf­gelöst wird. An die Stelle eines zentralen (feudalen) Uni-Versums, treten gleich­zeitig nebeneinander beste­hende auf­einander bezogene, multi­ple Bilder und Modelle, in einem Pluri-Versum. Nicht zentral auf einen Punkt hin ausgerich­tete Teil-Räume beste­hen neben­einander, ineinander usw. "An die Stelle des Uni­versums mit einem einzigen, gül­tigen Standpunkt tritt eine pluriverse Welt vieler Standpunkte." [3]

"Die neue Sprache des Raumes ist der Output einer Gram­matik, die eine un­endliche Zahl von Modellen erzeugt, wo die räumli­chen und zeitlichen Bezie­hungen veränder­bar sind."

Die folgenden Seiten zeigen, dass diese Raum(zeit)theorie noch unvollständig ist.

2.1. Räume

Der unendliche und unbedingte Raum o (Or-Raum) ist in allen drei Richtungen unendlich, hat also keine Grenzheit hinsichtlich der Richtheit. Der Räume i und e in Zeichnung 1, haben ebenfalls hinsichtlich keiner Richtung eine Grenze, sind also auch in alle drei Richtungen unendlich. Wenn auch die Richtung dä in zwei Hälften zerfällt, so ist doch das halbe dä in Richtung i unendlich lange, wie auch in Richtung e. Die Räume i und e haben daher die selbe Grenzheitstufe, wie der Raum o (Or-Raum).

Die nächste Grenzheitstufe des Raumes in sich ist durch zwei unendliche rote Flächen als Grenzen bestimmt, wie in Zeichnung 2 dargestellt. Der Raum zwischen den roten Fläche X1 und X2 ist daher nur mehr in 2 Richtungen unendlich, in einer Richtung aber endlich. Dieser Raum G ist hinsichtlich der Grenzheitstufe von den Räumen i und e sowie dem Or-Raum o artheitlich unterschieden. Zu beachten ist, dass ein solcher Raum sowohl in i als auch in e als auch in beiden sein kann.

Die nächste innere Art der Grenzstufheit der Räume ist dadurch gegeben, dass in einer zweiten Richtung Endlichkeit gegeben ist. In Zeichnung 3 ist eine unendlich lange, viereckige Säule gegeben, die durch die unendlichen roten Flächen X1, X2 und die unendlichen grünen Flächen Y1, Y2 begrenzt ist. Auch hinsichtlich der Richtung de ist nun Grenzheit gegeben, hinsichtlich di aber immer noch Unendlichkeit. Auch ein solcher Raum kann in i, e oder in beiden gelegen sein.

Schließlich ist noch eine dritte Art der Grenzheitstufung des Raumes zu erkennen, wenn nämlich in allen drei Richtungen Endlichkeit gegeben ist, wie in Zeichnung 4, wo durch die Begrenzung der endlichen roten Flächen X1, X2, endlichen grünen Flächen Y1, Y2 und endlichen blauen Flächen Z1, Z2 ein Würfel oder Quader entsteht. Endlicher kann ein Raum nicht mehr werden. Er ist unendlich endlich. Der Raum hat also in sich 3 Arten von In-Räumen.

2.2. Flächen

Fläche gilt als Raum ohne Tiefe. (Nicht im Sinne nicht-euklidischer Geometrien, für welche natürlich modifizierte Regelungen gelten, hinsichtlich der Frage der inneren Grenzheitstufen aber die gleichen Kategorien modifiziert Anwendung finden müssen.) Im üblichen Sinne ist daher Fläche definiert als Raum mit zwei Dimensionen. Auch hier gilt wieder, dass bei der ersten In-Gliederung der unendlichen Fläche in Zeichnung 1 durch die Linie di zwei Teile der Fläche entstehen, die jeweils den oberen Teil der Richtung de und den unteren Teil derselben befassen, dass aber in der Richtung de keine Grenzheitstufe der Fläche gegeben ist, weil de in beide Richtungen noch unendlich lange ist.

Erst wenn, wie in Zeichnung 5 durch zwei Linien m1 und m2 die Richtung de endlich wird, z.B. 3 cm lang, entsteht eine Fläche mit der ersten inneren Grenzheitstufe der Fläche, eine Fläche also, die in der Art von der unendlichen Fläche und den beiden Hälften derselben unterschieden ist. Die Fläche M ist nur mehr in einer Richtung unendlich. Die Fläche hat aber noch eine weitere innere Grenzheitstufe, die in Zeichnung 6 dargestellt ist. Wird auch die Richtung di endlich, durch die beiden Geraden n1 und n2, entsteht eine in jeder Richtung endliche Fläche. Die Fläche hat also in sich zwei Arten von In-Flächen, die nach der Stufung der Grenzheit unterschieden sind.

 

2.3. Linie

 Hinsichtlich der Linie und ihren Grenzheitsstufen sind folgende Deduktionen zu beachten:

Betrachten wir die Linie (1), so ist sie eine unendlich lange, gerade Linie o.

 Nun blicken wir auf die Linie (2), die schon in der Linie (1) ist. Sie zeigt uns, was die Linie (1) in sich ist. Die Linie (1) ist in sich zwei und nur zwei Linien, i und e, die beide noch unendlich lang, aber doch insoweit gegenheitlich sind, als die eine ist, was die andere nicht ist und umgekehrt, das heißt, sie verneinen und begrenzen einander teilweise. Jede der beiden ist zwar noch unendlich lang, aber der Punkt x ist ihre Grenze gegeneinander.

 

Hier in dieser ersten Ableitung der Linie (1) nach innen erkennen wir, dass es in der ersten Ableitung nach innen, wenn man von einem unendlichen Ganzen ausgeht, nur zwei Glieder gibt, die beide noch unendlich sind. Die beiden Linien haben daher die gleiche Grenzheitstufe, wie die Linie o. Wir sehen weiter, dass hier eine Neben-Gegen-Verneinung von i und e entsteht, wodurch aber die Linie (1) in keiner Weise negiert wird. Was heißt der Begriff Neben-Gegen-Verneinung? Die Linie i ist neben der Linie e, aber die eine ist, was die andere nicht ist und umgekehrt. Betrachten wir jetzt die Linie (1) mit der Linie (2) in Verbindung, so wird sichtbar, dass die Linie (1) als Ur-Linie über i und e steht und mit beiden verbunden ist. Als Ur-Linie ist die Linie (1) über beiden, die beiden sind unter ihr.

 Die Linie (3) zeigt die zweite Stufe der Ableitung nach innen. Wir sehen, dass es in der Welt der Linie (1), in der zweiten Stufe nach innen, neue Arten von Linien gibt. Auf der Linie i gibt es unendlich viele Linien (a1, b1 usw.). Auf der Linie e gibt es unendlich viele Linien (a2, b2 usw.). Es gibt jedoch auch unendlich viele Linien, die sowohl auf i als auch auf e liegen (a3, b3 usw.). Diese beidseitig begrenzten Linien gehören daher einer neuen Art von Linien an, die bilden die letzte Grenzheitstufe der Linie nach innen. Begrenzter, als auf beiden Seiten begrenzt, kann eine Linie nicht sein.

2.4.   Ergebnis für die Raumtheorie

Alle Arten von beidseitig in di und de begrenzten Flächen sind enthalten in/unter der unendlichen Fläche, die nach dem Prinzip von 4 Stufen der Begrenzung nach innen begrenzt ist, wie oben abgeleitet. Peter WEIBELs Theorie des Raumes bewegt sich nur im Bereich endlicher Räume und Flächen (begrenzte Plutriversen), ohne dass die genaue Ableitung der Räume, Flächen und Linien erkannt wäre. Das Pluriversum aller begrenzter Flächen  ist in/unter der einen selben ganzen nach innen unendlichen Fläche enthalten oder die Ganzen Fläche ist in/unter  sich Ar­ten von Flächen gemäß den Ableitungen. Oder die eine unendliche Fläche ist in sich, in deutlichen Begrenzungsstufen die All-Heit der erwähnten Flä­hen. Das Endliche ist im Unendlichen enthalten, die Begrenzung des Endlichen nach innen erfolgt stufenweise.

2.5.   Das Elektronische Raumkonzept WEIBELs

Das oben erwähnte Raumkonzept WEIBELs geht von folgender Evolution aus: Die Auflösung des Raumbegriffes, welcher der Kunstgestaltung seit der Renaissance innewohnt, ist im elektronischen Zeitalter gleichzeitig:

Zersplitterung des einheitlichen Raumkonzeptes (Kubismus), Integration des Zeitbegriffes in den Raumbegriff (Futurismus) und in der elektronischen Kunst, Integration unterschiedlicher Raumganzer, räumlicher Einheiten in neuen Synthesen (auch mit Zeit) gemäß dem 3. Abschnitt des II. Hauptlebensalters.

WEIBEL schreibt: "Die neue Sprache des Raumes ist der Output einer Grammatik, die eine unendliche Zahl von Modellen erzeugt, wo die räumlichen und zeitlichen Beziehungen veränderbar sind.(...) Im Spiel der räumlichen Codes, der spatialen Signifikanten, wo Ein-Richtungs-Gegenstände zu Mehr-Richtungs-Gegenständen werden ( z. B. Tisch eine Lampe) erhebt und entfaltet sich das Subjekt im entgrenzten, ungemessenen Raum."

Dieses Raumkonzept, welches erkenntnistheoretisch als ein subjektivistisches Raumkonzept bezeichnet werden kann, zeigt erkenntnistheoretisch den Übergang von einem naiven Empirismus zu einem kritischen Realismus oder gar transzendentalen Idealismus: "Nicht mehr die Objekte sollten den Raum definieren, sondern der Geist, der den Raum und die räumlichen Parameter wie Entfernung und Größe nach Belieben korrigieren und variieren kann." Oder: "HEINZ VON FOERSTER behauptet, dass wir die Wirklichkeit eher konstruieren bzw. erfinden, als dass wir sie entdecken oder finden."

Auch der elektronische Raumbegriff WEIBELs bleibt aber:

a)      subjektiver ,Raumbegriff;

b)      das "befreite" Subjekt agiert in Partialräumen, Partial-Raum-Codes, ohne im Sinne der erkenntnistheoretischen Entwicklung den Or-Om-Code (All-Code) des Raumes und der Zeit zu erkennen.

c)      Auf die geschilderte Weise sind unendlich viele Raumkonzeptionen, Gegenstandsformationen möglich, die aber alle über das Unendliche am Endlichen, am Teilhaften, Begrenzten nicht hinausgelangen zum Unendlichen, Orheitlichen, in/unter dem sie dann erst die Endlichkeit im Unendlichen und vor allem die Unendlichkeit am Endlichen erkennen können. Diese Konzepte WEIBELs bleiben daher im 3 Abschnitt des II Hauptlebensalters stecken.

Man kann bildlich sagen, dass das Raumkonzept im Universum der geraden Linie nur die Linie (L3) erkennt, dass aber die Linie (L1) und darin die Linie (L2) nicht erkannt werden und damit auch die Deduktion von (L1) bis (L3) nicht erkannt werden.

Noch ein Wort zum Begriff des Pluriversums bei WEIBEL: Nach seiner Ansicht wird von dem (feudalen) Ein-Partialraum der Renaissance übergegangen zum Pluripartialräumen, aus der Einheitlichkeit in die Vielfalt der Partialräume. Nicht erkannt werden aber die weiteren Evolutionsstufen, nämlich dass alle diese möglichen Partialwelten, Pluriversen in/unter dem unendlichen Wesen, Gott, als in ihm gegliederte Partialwelten sind. Hier fehlen vor allem die Stufungen des Unendlichen ins Endliche. Die Entwicklung wird daher fortschreiten: Von den Pluriversen, Partialversen des 3. Abschnittes des II. Hauptlebensalters, welche die elektronischen Medien bereits erzeugten, zu den Grunderkenntnissen des III. Hauptlebensalters der Allsynthese, wonach alle endlichen, begrenzten Pluriversen in/unter Or-Wesen erkannt werden sowie räumlich und zeitlich in/unter dem Or-Raum und der Or-Zeit.

2.5.1. Ergebnis für die Raumtheorie

Alle Arten von beidseitig in de begrenzten Linien sind ent­halten in/unter der beidsei­tig in de unendlichen Linie (1), die nach dem Prinzip von 2 Stufen der Be­grenzung nach innen be­grenzt wird. Das Pluriversum aller begrenzten Linien ist in/unter Linie (1) enthalten, oder Linie (1) ist in sich Arten von Linien (i und e; a1, b1, usw.). Oder: Die Linie (19 ist in sich in deutlichen Begrenzungsstufen die All-Heit der erwähnten Li­nien. Das Endliche ist im Un­endlichen, logisch gestuft, enthalten.

2.5.2.  Endliche Linien werden weiter geteilt

In der aktuellen Fraktalgeometrie werden endliche Linien nach weiteren ma­thematischen Regeln geteilt, wobei Compu­terprogramme in der Lage sind, sol­che Li­nien darzu­stellen." [4] Eine Linie kann in N identische Teile geteilt werden, von denen jeder im Verhältnis r=l/N zum Gesamten steht. Bei ei­nem selbstähn­lichen Objekt von N Teilen, die im Verhältnis r zum Ganzen skaliert wurden, ist seine fraktale oder Ähnlich­keitsdimension mit D = log(N)/log(l/r) gegeben. Z. B. N=4, r=1/3, D= log(4)/log(3) = 1,26. In diesem Fall wird ein ein­faches Liniensegment gedrittelt und das mittlere Seg­ment wird ersetzt durch zwei gleiche Segmente, die Teil eines gleichseiti­gen Dreiecks sind. Auf der nächsten Stufe der Kon­struktion wird jedes die­ser vier Segmente durch vier neue Seg­mente mit ei­ner Länge von 1/3 ihrer Herkunfts­segmente aus dem ur­sprünglichen Muster er­setzt. Dieser Vorgang, im­mer wieder wiederholt, ergibt die wunderschöne KOCHsche Kurve. (KOCHKURV.PCX)

Das beweist, dass die Wiederholung einer sehr einfachen Re­gel scheinbar kom­plexe Formen mit ganz außergewöhnli­chen Ei­genschaften ergeben kann. Die Kurve besitzt eine ge­naue Selbstähnlichkeit. Jeder kleine Teil ergibt durch Vergröße­rung ganz ex­akt einen größeren Teil. Auf jeder Stufe ihrer Kon­struktion nimmt die Länge der Kurve mit einem Faktor von 4/3 zu. Eine unendlich lange Linie begrenzt daher eine end­lich große Fläche auf der Ebene, ohne sich selbst zu durch­kreuzen. (Vgl. die Ableitungen unter 2.2 und 2.3, die in der Fraktalgeometrie bisher nicht be­rücksichtigt wurden. Die KOCHsche Kurve zeigt, dass eine endliche Li­nie im Sinne 2.3.3 weiter unendlich teilbar und bestimmbar ist.

3 Die Zeit

  Die Zeit ist die Form des stetigen Übergehens eines endli­chen Zustandes eines Endli­chen in den nächsten. So kann beispielsweise eine Li­nie Ä von 3 cm dauernd kürzer, wieder länger und wieder kür­zer werden, sich stetig ändern in ihrer Ausdeh­nung; oder eine Pflanze keimt, wächst, blüht und verwelkt. Die Form die­ses Än­derns ist die Zeit. Die Zeit kann vergli­chen werden mit der Linie Y unter 2.3. Die Zeit ist nicht endlich son­dern un­endlich. Sie hat keinen Anfang und kein Ende. Sie ist durch den Zeit­punkt f geteilt in die beiden un­endlichen Teile J (Vergangenheit) und E (Zukunft). Die Zeit ist also erst in sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Zeit ist mit dem Raum insoweit vereint, als Endli­ches, Bestimmtes, Räumli­ches in sich die Form der Zeit hat, inso­fern es von einen be­stimmten Zustand in einen anderen übergeht (z. B. eine Fläche A3, die sich dreht, fortbewegt, größer oder kleiner wird; eine Katze die ge­zeugt, geboren wird, wächst und stirbt). Der un­endliche, un­bedingte ganze Raum hat daher die Zeit nur in sich, er ist aber selbst nicht in der Zeit.

4.  Theorie elementarer Formen

 

Die obigen Ausführungen über Raum und Zeit sind für eine allumfassende Theorie der Formen fundamental. Die Arten der Formen von Raum(zeit)gebilden gliedern sich vom Un­endlichen zum Endlichen in der unter 2. geschilderten Weise. Dies ist die UrGrammatik der Formen. Die Kunst kann nur ganz endliche Formen in einer den körperlichen Sinnen wahr­nehmbaren Form darstellen; sie kann hierbei je­doch u. U. mit endlichen Formen Unendliches auszudrücken ver­suchen.

Die digitale Kunst erweitert die Möglichkeiten der Darstel­lung von Raum(zeit)gebilden.

4.1    Ein Generator elementarer Formen

Einige Grafikprogramme besitzen eine pixelorientierte Funk­tion zur Erzeugung von schwarz-weißen (s/w) oder fär­bigen patterns (Mustern, Ornamenten). Die Er­forschung der bishe­rigen Muster, Ornamente und patterns in der Kunstge­schichte erscheint nicht sehr systematisch und gründ­lich. [5]

Wir können nur schwer die Frage klären, was sich die Künst­ler dachten, die vor 5.000 Jahren auf die Wand einer Kult­stätte ein Muster zeichneten. Neben so­ziologischen, histo­risch-künstleri­schen Untersuchungen ist auch daran zu erin­nern, dass in den Symbolen der Geheimlehren (z.B. I Ging, Kabbala) elementare geometri­sche Formen eine Rolle spiel­ten. Wie weit sind solche Hintergründe in der Geschichte des Ornamentes wirksam (sakral-esoterische Ornamentik)?

Im Grafikprogramm Paintbrush z.B. gibt es eine "Edit pat­tern"-Funktion, bei der eine Fläche in 8 x 8 Quadrate geteilt ist. Jedes der 64 Felder kann im S/W-Mo­dus schwarz oder weiß sein. Es gibt daher 264 Möglichkeiten die Felder mit s/w zu bele­gen, also 264 verschiedene Ornamente. Das fol­gende Programm von Mag. Helmut AUERNIG ist ein Ge­nerator dieser Orna­mente. Er schreibt:

Ein kurzes Programm in GWBASIC zur Erzeugung von 8 x 8-Matrizen, deren Ele­mente nur "0" bzw. "1" sein können, soll eine Vorstellung von der Anzahl der Mög­lichkeiten für die Schwarz-weiß-Muster liefern:

10   T1$=DATE$+"  "+TIME$
100  FOR Z1=0 TO 255
110     Z=Z1: GOSUB 2000: Z1$=BM$
200     FOR Z2=0 TO 255
210        Z=Z2: GOSUB 2000: Z2$=BM$
300        FOR Z3=0 TO 255
310           Z=Z3: GOSUB 2000: Z3$=BM$
400           FOR Z4=0 TO 255
410              Z=Z4: GOSUB 2000: Z4$=BM$
500              FOR Z5=0 TO 255
510                 Z=Z5: GOSUB 2000: Z5$=BM$
600                 FOR Z6=0 TO 255
610                    Z=Z6: GOSUB 2000: Z6$=BM$
700                    FOR Z7=0 TO 255
710                       Z=Z7: GOSUB 2000: Z7$=BM$
800                       FOR Z8=0 TO 255
810                          Z=Z8: GOSUB 2000: Z8$=BM$
900                          PRINT
910                          PRINT Z1$
920                          PRINT Z2$
930                          PRINT Z3$
940                          PRINT Z4$
950                          PRINT Z5$
960                          PRINT Z6$
970                          PRINT Z7$
980                          PRINT Z8$
1000                      NEXT Z8
1100                   NEXT Z7
1200                NEXT Z6
1300             NEXT Z5
1400          NEXT Z4
1500       NEXT Z3
1600    NEXT Z2
1700 NEXT Z1
1900 :
2000 IF Z >= 128 THEN BM$="1"    :Z=Z
128 ELSE BM$="0"
2100 IF Z >= 64  THEN BM$=BM$+"1":Z=Z
64  ELSE BM$=BM$+"0"
2200 IF Z >= 32  THEN BM$=BM$+"1":Z=Z
32  ELSE BM$=BM$+"0"
2300 IF Z >= 16  THEN BM$=BM$+"1":Z=Z
16  ELSE BM$=BM$+"0"
2400 IF Z >= 8   THEN BM$=BM$+"1":Z=Z
8   ELSE BM$=BM$+"0"
2500 IF Z >= 4   THEN BM$=BM$+"1":Z=Z
4   ELSE BM$=BM$+"0"
2600 IF Z >= 2   THEN BM$=BM$+"1":Z=Z
2   ELSE BM$=BM$+"0"
2700 IF Z  = 1   THEN BM$=BM$+"1"         ELSE BM$=BM$+"0"
2800 RETURN
2900 :
3000 T2$=DATE$+"   "+TIME$
3100 PRINT T1$;"  
   ";T2$

 

Das obige Programm ist weder elegant noch schnell. In 8 Schleifen werden je­weils die Bitmuster einer Zeile durch Un­terprogrammaufruf (Zeilen 2000 2800, zur Ehre von BASIC: die steinzeitliche "Parameterübergabe" wäre heute auch nicht mehr nötig) erzeugt. Zeile 10 und 3000 geben Startzeit und Endzeit an. Dazwischen liegen ca. 82 Jahre Arbeit für einen Ba­sic-Interpreter auf einem 33 MHz AT. Streicht man die Bild­schirmausgaben, so verkürzt sich die Laufzeit auf ca. 2 Jahre, ein Kompilieren des Programms bzw. Ersetzen von Be­rechnungen durch Assemblerroutinen (Bitmanipulationen) bringt sicherlich weitere drastische Verkürzungen. Selbst ein Verkürzungsfaktor von einer Mil­lion brächte aber noch eine Laufzeit von mehr als einer Minute."

Geht man davon aus, dass Paintbrush die Felder auch mit 16 Farben besetzen kann, ergeben sich 1664 Möglichkeiten von Farbornamenten. In der Kunstge­schichte bisher nicht er­schlossene Möglichkeiten der Ornamentik werden eröff­net.

( Nehmen wir an, dass die 32 Schachfiguren 32 verschiedenen Farben entspre­chen, die bei der Mustererzeugung benutzt wer­den. Wenn wir nunmehr nur jene Posi­tionen berücksichtigen, die nach den Schachregeln sinnvoll sind, erhalten wir alle mögli­chen Posi­tionen, die logisch im Schachspiel möglich sind).

In anderen Grafikprogrammen können 16x16 Quadrate be­setzt werden. Der Reich­tum an Elementarformen nimmt zu.

4.1.1    Die magischen Quadrate

Magische Quadrate sind dadurch gekennzeichnet, dass in den Unterquadraten die Zahlen ab 1 bis zur Höhe des höchstelli­gen Quadrates so eingetragen wer­den, dass die Summen in den waagrechten und senkrechten Reihen, sowie in den Diagona­len gleich sind. z.B.  

4   9   2              4   14   15     1
3  5   7               9     7     6   12
8  1   6   oder     5   11   10     8
                        16     2     3   13

 

Zeichnen wir hier jeweils die ungeraden Zahlen s ein, erhal­ten wir ein regelmä­ßiges Muster. In unserem Grafikpro­gramm von 8x8 Pixeln können wir alle ma­gischen Quadrate bis 8 x 8 dar­stellen und ihre reichhaltigen mathematischen Eigen­schaften untersuchen.

Ein Beispiel für das magische Quadrat 8 x 8:

 8   58  59    5    4  62  63    1
49  15  14  52  53  11  10  56
41  23  22  44  45  19  18  48
32  34  35  29  28  38  39  25
40  26  27  37  36  30  31  33
17  47  46  20  21  43  42  24
  9  55  54  12  13  51  50  16
64    2    3  61  60    6    7  57

 

Versuche hier die ungeraden Zahlen s zu zeichnen. Du er­hältst ein regelmäßiges Mu­ster, eines in den 264, die wir oben be­sprochen haben. Es besteht daher auch ein ma­thematischer Zu­sammenhang zwischen Regelmäßigkeit und bestimmten Zah­lenverhältnissen, zwischen Schönheit und mathemati­schen Maßverhältnis­sen. Oder: Jedes der 264 Muster hat ganz be­stimmte mathematisch-ästhetische Eigenschaften.

4.1.2        Einige Arten von 8x8-Ornamenten

Die beiden Muster all.1 und all.2 sind gegliedert wie der Raum, die Fläche (2.2) oder die Linie (2.3) in sich, aber eben mit ganz endlichen Flächen. (ALL12.PCX)

eq.1 und eq.2 sind an der senkrechten Mittelachse gespiegelt. (EQ12.PCX)

Invsv. 1 sind invertiert/seitenverkehrt. (INSV1.PCX) Die un­terste Zeile ist die inver­tierte der obersten und so nach innen.

Reg.1 ist um die Mittelachse regelmäßig. (REGIRREG.PCX)

In All.3 sind die Muster harmonisch gegliedert. In All.3.1 sind die "Charaktere" der Muster sichtbar. J ist "selbstheitlich", E " ganzheitlich", A vereinigt die Ge­gensätze der beiden. U schließlich ist "neutral" und hat "Ähnlichkeit" mit dem Muster beim magischen Quadrat 8x8, wenn man die ungeraden oder geraden Zahlen s oder w be­zeichnet. (ALLGLIED.PCX, MU­STERA.PCX)

 

5                   Ein Bilderkosmos vom Einfachen zum Komple­xen

 

Grafikprogramme können bekanntlich patterns, wie sie nach 4.1 erstellt wer­den, benutzen, um begrenzte Felder damit zu füllen, aber auch um mit diesem pattern selbst Linien zu zeichnen. In dem folgenden Bildern werden solche patterns in Paintbrush (8 x 8) in beiden Funktionen benutzt. Die Bilder ge­hen, so wie wir es in den Untersuchungen des Raumes zeigten, vom Unendlichen ins Endli­che. Aus Platz­gründen können nur wenige Bilder beigeschlossen werden. Be­reits in diesem relativ beschränkten Grafikprogramm kann eine Vielzahl von Kon­zepten und Formen der bisherigen Kunst­entwicklung integriert in einen neuen Gesamtzusammenhang ge­bracht werden. Mit Farbe sind die Möglichkei­ten unver­gleichlich größer und schließ­lich ist zu bedenken, dass diese Bilder di­gital reprodu­ziert auf großen Monitor-Wänden aus­gestellt werden sollten, um voll wirken zu können. Selbstver­ständlich können solche Bilder zu Videofilmen usw. über pi­xelweise Mutationspro­gramme fortgesetzt werden, womit die Zeit­dimension hinzu­tritt. Weitere Möglichkeiten liegen in Verfahren wie "Cyber-Space".  

Die folgende deduktive Bilderserie wird zuerst als Animation mit 4 Sekunden pro Bild abgespielt. Im folgenden sind die einzelnen Bilder auch einzeln aufgeführt.

 

Animation

 

 

 

Einzelbilder

 

OR-OM0.PCX

OR-OM1.PCX

OR-OM2.PCX

OR-OM7.PCX

OR-OM12.PCX

OR-OM24.PCX

OR-OM27.PCX

OR-OM30.PCX

OR-OM34.PCX

OR-OM35.PCX

OR-OM53.PCX

OR-OM541.PCX

OR-OM65.PCX

OR-OM70.PCX

OR-OM78.PCX

OR-OM80.PCX

OR-OM81.PCX

OR-OM891.PCX

OR-OM106.PCX

OR-OM107.PCX

OR-OM108.PCX

 

 

OR-OM85.PCX

OR-OM121.PCX

OR-OM122.PCX

OR-OM123.PCX

OR-OM130.PCX

OR-OM131.PCX

OR-OM133.PCX

OR-OM134.PCX

OR-OM135.PCX

OR-OM136.PCX

OR-OM137.PCX

OR-OM138.PCX

OR-OM140.PCX

OR-OM142.PCX

OR-OM143.PCX

OR-OM145.PCX

OR-OM146.PCX

OR-OM147.PCX

OR-OM148.PCX

OR-OM149.PCX

 



[1] In seinem richtungsweisenden Buch "Understandig Media". "Die magi­schen Kanäle. Fischer, 1970.

[2] Diese für die gesamte weitere Zukunft grundsätzliche Kunsttheorie, ihr Verhältnis vor allem zur Kunstentwicklung seit 1910 und Anre­gungen zur Weiterbildung enthält mein Buch: "Die Vollendete Kunst". Böhlau 1991.

[3] Ars Electronica 1986 und "Inszenierte Kunstgeschichte" 1990.

[4] Fraktale Zufallsfälschungen: Vom Gebirge zur Musik. R. F. VOSS: Katalog Steirischer Herbst 14.X. – 19.XI.1989.

[5] Wichtige Untersuchungen sind etwa: Leonardo da VINCI: Codex Atlanticus;
Jones OWEN: Grammar of Ornaments. 1856;
Otto Antonia GRAF: Otto Wagner III.
Die Einheit der Kunst. Weltge­schichte der Grundformen. Böhlau 1990.