Der Umgang mit Krauses Metaphysik in Deutschland

Peter Nurten

Motto:

"und es würde daher ein unbefugtes Verfahren sein, die von mir gebrauchten Wörter nach dem Wortgebrauche irgend eines anderen Systemes, z.B. des Kantischen, Fichtischen, Hegelischen, oder Krugerischen auszulegen; denn dadurch würde in vielen Hauptlehren der Sinn meiner Rede verfehlt oder entstellt werden. Ich spreche mit Fug für mich dasselbe Recht an, welches jedem selbständigen Wahrheitsforscher gebührt: den wissenschaftlichen Redegebrauch nach eigner Einsicht zu bestimmen, und nur danach ausgelegt zu werden."

In Spanien spielte die Philosophie Krauses als Krausismo seit 1850 eine bedeutende Rolle. Auch heute noch erscheinen minutiöse Studien zu seiner Philosophie (z.B. Rafael V.Orden Jimenéz: El sistema de la filosofia de Krause http://www.filosofia.org/mon/kra/k1998roj.htm ). Institute beschäftigen sich mit Krause, mit dem Krausismo und seiner Aktualität. Man kann geradezu sagen, dass ein spanischer Philosoph die bisher wichtigste und gründlichste Biografie Krauses vorlegte:

Enrique M. Ureña: K.C.F.Krause. Fromann-Holzboog. Stuttgart. 1991

Vom selben Autor stammt die genaueste Rekonstruktion der bisherigen Wirkungsgeschichte der Krauseschen Philosophie in Deutschland bis 1881.

Enrique M. Ureña: Philosophie und gesellschaftliche Praxis. Wirkungen der Philosophie K.C.F.Krauses in Deutschland (1833-1881). Fromann-Holzboog. Stuttgart. 2001

Folgende Werke Krauses finden sich im Internet:

Unter http://www.internetloge.de/krause/krurbild.pdf : "Das Urbild der Menschheit" Ausgabe 1851

Unter http://www.internetloge.de/krause finden sich eine Reihe von Artikeln, welche evolutive Aspekte der Wesenlehre vorstellen und mit Zeitbezügen verbinden.

Unter http://www.philosophiebuch.de werden laufend durch das  "KRAUSE DIGITAL RESEARCH PROJECT" Werke Krauses digital zu äußerst günstigen Preisen zur Verfügung gestellt. Die digitale Erfassung aller Krause-Werke ist geplant.

In Deutschland beginnt erst seit einer Tagung in Hofgeismar November 1981 eine etwas intensivere, neuerliche Beschäftigung mit der Philosophie Krauses. Hier ist zu prüfen, in welchem Ausmaße hierbei die gesamten evolutionslogischen Potenziale der Wesenlehre erschlossen werden. Erfolgt bei dieser neuerlichen Belebung des Ansatzes eine Verzerrung durch die Sicht der Brillen anderer Denker (z.B. Hegel) oder durch die Übersetzung in zeitgenössische Terminologie und Reformulierung seiner Positionen eine Relativierung oder gar Verengung seiner Grundwissenschaft, welche im Vorhof gleichsam das Tor zu den tieferen Bereichen seines Denkens verschließen, oder ist die sanfte Einführung seiner Metaphysik und ihrer Konsequenzen für einzelne Wissenschaften, etwa die Rechtsphilosophie, gleichsam die Öffnung des Vorhofes, durch welchen man selbst weiter in die inneren, unendlich mal unendlichen Sphären der Grundwissenschaft eintreten kann?

Wir stellten uns die Frage, ob unsere hier angebrachten konstruktiv kritischen Anmerkungen dem sich eben erst zart bildenden Pflänzchen der Neubelebung Krauses schädlich sind und dessen Wachstum fördern oder hemmen würden. Wir meinen aber, dass die ihm verabreichten Zusatzstoffe seinem Wachstum nur förderlich sein können und hoffen auf eine entsprechende Aufnahme bei den Protagonisten wie auch den Lesern.

Da in den folgenden Ausführungen  immer wieder auf die logischen Implikationen der Wesenlehre hingewiesen wird, bilden die unter http://www.internetloge.de/krause/krlogik.pdf erarbeiteten Beziehungen zwischen Or-Om-Logik und zeitgenössischer formaler Logik eine wichtige Grundlage.

Im folgenden werden Beiträge zu Krause nicht behandelt, welche die Möglichkeit einer metaphysischen Wissenschaftsbegründung völlig ausschließen.

1.      Klaus-M. Kodalle

Grundlage bildet sein Aufsatz:

Gewißheit als absolutes Wahrheitsereignis: Das Konzept der »Wesenschau« in der Metaphysik Karl Christian Friedrich Krauses, in: Karl Christian Friedrich Krause (1781-1832). Studien zu seiner Philosophie und zum Krausismso. Hamburg. 1985

"I. Eingangsüberlegungen zur Wahrheitsfrage 

Ich markiere zwei Betrachtungsweisen in gegenwärtiger Philosophie. Stichworte sind »Kohärenz« und »Evidenz«.

a) 'Kohärenz' 

Verschiedene Zugangsweisen zum Wahrheitsproblem sind geläufig: semantische, sprachanalytische, intersubjektivitätstheoretische, korrespondenztheoretische usw. In allen trifft man auf das ontologische Problem, zwischen sprachlicher Aussage und Wirklichkeit eine Korrespondenz zu finden; die Sache selbst soll offenkundig werden. Da uns neben »Sprache« und »Wirklichkeit« eine dritte Ebene der Beurteilung nicht zur Verfügung steht, sind wir gehalten, die Vermitteltheit von allem durch Sprache zu begreifen. Was bedeutet denn »Wahrheit«? Die Offenbarkeit eines Sachverhalts, natürlich; doch wie wird ein Sachverhalt »wahrheitsfähig«? Indem wir, sprachpragmatisch, auf seiner diskursiven Einlösbarkeit beharren - also auf der Verpflichtung, einen möglichen Konsens im Urteil zu intendieren. Worauf hat sich dieser Konsens zu beziehen? Auf die Eingliederung des Sachverhalts in ein Kohärenzsystem, dessen drei zentrale Eigenschaften nach N. Rescher Konsistenz, Comprehensiveness = Umfassendheit, und Cohesiveness = Zusammenhängendheit sind. Eine Definition könnte dann also lauten: »Richtig heißt eine Aussage dann, wenn man sie eingliedern kann« (0. Neurath) -nämlich eingliedern kann in ein möglichst umfassendes, in sich kategorial ausdifferenziertes Gesamtgefüge aller möglichen Verstehensrahmen. Sowohl das System Hegels wie -vorläufig gesprochen - dasjenige Krauses sind scheinbar diesem Typ des Wahrheitszuganges zuzuordnen.

Für ein solches Denken bezeichnet also "Kohärenz« im Grunde das Wesen der Wahrheit selbst. 

Indessen können wir uns mit dieser Annäherung nicht zufrieden geben. Sie läßt nämlich eine ganz entscheidende Erfahrungskomponente außer Betracht: die Erfahrung der scheinbaren Relativität aller Erkenntnis, die in der Geschichtlichkeit und Endlichkeit unseres Wissens gründet. Wir müssen erleben, daß ein philosophisches System der Wahrheit noch so wohl durchdacht auftreten kann - es ist nicht auszuschließen, daß wir ihm, trotz aller Anstrengung des Begriffs, doch keine letzte Gültigkeit zusprechen können. Wir sind nicht überzeugt worden - das kann von Fichte gelten, von Hegel, oder eben von Krause. Wir sagen dann: das System ermangelt für uns der Evidenz. 

b) Evidenz 

Obwohl rein logisch doch Aussagen nur mit Aussagen korreliert werden dürfen und nicht mit »Erlebnissen«, kommt hier ein Moment unmittelbarer Erfahrung ins Spiel. Was bedeutet dies für das Wahrheitsverständnis?

Daß ein Kohärenzsystem mir etwas bedeutet, dafür gibt es kein selbst »objektives« Kriterium. Daß Menschen überhaupt »vernünftige Wesen« sind, wie es die alte Metaphysik definierte, läßt sich abstrakt-wissenschaftlich gar nicht begreifen. Das zeigt sich nur, wo und wenn Verständigung über ein Erklärungssystem, d. h. letztlich: Verständigung der Menschen über sich selbst, gelingt. Die Praxis also gibt den Ausschlag. Die Vorstellung, Wahrheit sei statistisch - endgültig festellbar, ist damit erledigt. Ob also mein System anderen etwas sagt, ob es für sie dasselbe bedeutet wie für mich, ist dann a priori nicht deduzierbar. Es gibt kein »letztes« Kriterium der Übereinstimmung. Die ist direkt gar nicht herzustellen, weil wir über die Sprache nicht verfügen wie über ein Mittel/ein Werkzeug. Wir finden uns demnach faktisch-historisch in Übereinstimmung. Eine Kommunikation glückt, sagen wir .

Dann ist Wahrheit als »Deutlichkeit« sozusagen fraglos da. Auch das aber kann sich wieder ändern, Evidenz gleichsam einbüßen. Es gibt demnach keine letzte Absicherung der Intersubjektivität - jeder Eindruck einer Eindeutigkeit des Sprachgebrauchs »ein für allemal« ist bloßer Schein. Wahrheit wäre dann primär ein sich geschichtlich-zufällig einstellendes Ereignis, gründend in einer »Erkenntnis ohne Begriff«, die letztlich geschichtlich-individuell ist und angesichts derer die ganze Sprache in Allgemeinbegriffen wie ein nachträgliches Gerüst erscheint, ein Gerüst für eine Erfahrung, die das endliche einzelne Subjekt mit sich selber macht; schlicht: eine Theorie gelingt, d. h. sie löst ein Problem, Aber auch gilt: über Evidenz läßt sich nicht streiten!" 

Kritik: Bereits hier zeichnen sich grundsätzlichere Probleme ab. Nach Kodalle gibt es kein letztes Kriterium der Übereinstimmung (S1), keine letzte Absicherung der Intersubjektivität (S2) und über Evidenz ließe sich nicht streiten (S3). Diese Sätze Kodalles (S1 bis S3) über die Evidenz und die letzte Absicherung der Evidenz zeigen, dass sie gerade das fordern, was sie ablehnen. Diese obigen Sätze sollen doch für alle Menschen zu allen Zeiten in allen geschichtlich zufälligen Konnexen und Sozialsystemen Evidenz besitzen. Derjenige, der sie schreibt, fordert deren universale Evidenz. Kodalle meint doch, dass alle Menschen diese seine Sätze als evident anerkennen müssen. Sie besitzen also transsubjektive, trans-intersubjektive und transsoziale also universelle Gültigkeit. Gerade dies wird aber in den obigen Sätzen Kodalles geleugnet.

Es zeigt sich also, dass die Sätze bereits über den Relativismus und Scheincharakter des 'ein für allemal', den sie behaupten, hinausweisen auf einen zeitlosen und universellen Evidenzbereich, selbst gegen den Willen des Autors. Die obigen Sätze fordern eine Gültigkeit jenseits faktisch-historisch diskursiver Übereinstimmung. Sonst müsste Kodalle sagen: 'Auch diese meine Sätze hier unterliegen natürlich selbst intersubjektiver Übereinstimmung, geglückter Kommunikation, sonst sind sie nicht evident, auch nicht wahr usw.' Er müsste sagen: 'Diese meine Sätze sind natürlich auch historisch diskursiv relativierbar, sie werden Evidenz einbüßen oder haben sie bereits eingebüßt.'

"III. Wahrheitsgewissheit als absolutes Ereignis – Zum Verständnis der "Wesenschau"

Das Wahrheitsbewusstsein des Ich bliebe defizitär und unsicher, wenn die notwendigen Transzendierungen auf einen letzten Grund hin ins Leere gingen. Wie also ist das Vertrauen in die Wahrheit der vernünftigen kategorialen Konstruktionen des Ich selbst begründbar? Das bloße Faktum einer gelingenden Verständigung (Intersubjektivität) hilft hier nicht weiter. Unser Denken verweist schon auf einen Grund, der von der Subjektivität des Denkens verschieden ist; Krause spricht in dem Zusammenhang von "Ahnung".

Zuweilen erweckt er den Eindruck, wir könnten »durch stetiges Aufsteigen« (92) in logischer Analyse in diesen Wahrheitsgrund gelangen. Doch diese Suggestionen sind irreführend. Krause möchte ein »Ganzes« denken, »welches nicht wiederum Teil und Teilwesenheit, sondern das unbedingte, unbegrenzte Ganze. ..ist« (92). Die sprachlichen Verrenkungen verraten es: »Ganzes« ohne Bezug auf »Teil« ist Nonsens, weshalb die Bezeichnung von »Wesen« als Ganzes auch bereits einen lapsus darstellt. Nein - die induktiv-analytische Methode kann, wie perfektioniert auch immer, nur an den Punkt heranführen, an dem wie in einem Sprung die zeitlos-differenzlose Wahrheitseröffnung zum Ereignis wird. Krause nennt das »Wesenschauung« (im folgenden: WS). Hier erschließt sich dem Ich eine Wahrheitsgewißheit, die erst das Vertrauen in ein Gelingen der kategorialen Rekonstruktionen begründet. Zugleich kommt dem Ich in diesem Lichte die sekundäre Bedeutung aller ausdifferenzierten logischen Systeme des Wissens zu Bewußtsein: Sie sind nur Abschattungen des im Wahrheitsereignis der WS Eröffneten - stets unvollkommene Versuche im Medium der Zeit, also des Trennenden, das zu entfalten, was als Differenz und Einheit in Gott ineins und zumal ist .

Im »Ahnen« ist das Drängen in die reine Wesentlichkeit: Gott, bereits gegenwärtig. Krauses Andeutungen, wir gelangten wie in einem Stufengang zur »vollen ganzen Schauung« des Wesentlichen (165), haben wir als gänzlich unangemessen zurückgewiesen. Das Ereignis des WS ist vielleicht in der Folge eines Stufenganges annäherungsweise plausibel zu machen - dessen Evidenz aber als Einheit mit Wesen/Gott leuchtet nur in einem Nu auf! In letzter Hinsicht ist die Hinführung zur WS auf dem Wege bestimmter Phasen der Introspektion selbst noch vermittelt: »in Kraft und als Folge der Grunderkenntnis«. Krause ist sich der Unfähigkeit der logischen Sprache sehr klar bewußt (vgl. 165), diesen Bereich der Evidenzerfahrung »über allem und jedem einzelnen Erkennen« zu artikulieren: »Wesen, Wesentliches, Wesenheit, ohne allen Beisatz« (565). Auch diese Formel ist natürlich nur >Andeutung<. Aber es scheint Krause die Konsequenz zu ermangeln; er nimmt nicht zur Kenntnis, daß die Formulierung: »Schauung des Ganzen, Selben, Ungeteilten, als solche ungegenheitlichen und zugleich gliedbaulichen, alles Einzelne und Besondere in sich fassenden oder vielmehr in sich seienden Wesentlichen« (165) bereits in dem »Zugleich« anzeigt, wie sich hier, im Reden- über, bereits das begründende, diskursive Denken, das nicht anders kann, als mittels Negationen zu bestimmen, sich des ursprünglich-wesentlich Erfaßten bemächtigt hat. Hier liegt meines Erachtens eine ganz entscheidende Crux der Krauseschen Wesenschaulehre. 

Wir haben scharf zu unterscheiden: ursprüngliche Wahrheitsgewißheit als Schauung einerseits, auf Gründe und Begründungen sich unweigerlich beziehendes Denken andererseits. Sobald wir zu denken beginnen, im Auseinander von Bedingendem und Bedingtem, müssen wir, soll Wahrheit nicht beliebig-hypothetisch bleiben, »Wesen« als Grund annehmen: »Wesen, welches alles ist, was ist, worin alles ist, was ist, und dessen Wesenheiten alles Endliche auf bestimmte, beschränkte, eigene Weise an sich hat, und außer welchem als außer ihm, dem Ganzen, nichts ist« (93). Wesen als »erhabene Voraussetzung« er- schließt sich als absolute Faktizität im Schauen; die Struktur seines >Endlichkeitseinschlusses< eröffnet sich aber nicht, wie Krause behauptet, der Schauung selbst, sondern spiegelt sich in der Diskursivität des Denkens (in dieser Hinsicht also behält Hegel recht). -Es finden sich durchaus Feststellungen Krauses, welche unsere Klarstellung bestätigen: »Wesen ist Wesen, Gott ist Gott. Dieser Satz ist der Grundsatz für alle Sätze (so auch Hegel), aber nicht das Prinzip aller Erkenntnis, weil selbiger schon die Wesenschau voraussetzt« (578). 

Aus diesen Erwägungen heraus leuchtet ein, daß auch die Bestimmung »höchstes Wesen« eine relationale, also bedingte Bestimmung ist, hinsichtlich derer sich nochmals die Frage nach dem Grunde stellt (vgl. 174). Es ist offenkundig: Solange wir uns in der logisch- > gliedbaulichen< Verästelung vom Höheren zum Höchsten bewegen, wird zwangsläufig auch das angeblich Höchste als ein je Bestimmtes und damit Endliches, Begrenztes erscheinen - die Frage nach dessen Grund brächte dies gerade an den Tag. Ich halte es darum für abwegig, einfach unsere Wesensbestimmungen nur »unbedingt« und »urganz« zu denken, um zur unbedingten »Selbwesenheit und Ganzwesenheit« Gottes vorzustoßen (175). Jeder Begriff eines Ganzen, dessen wir im Begründungsdenken bedürfen - ist zwar in seiner Begrenztheit durchschaubar und insofern überholbar - nicht aber läßt sich die Dialektik von Teil und Teil-Ganzem transzendieren, daß also ein Ganzes zu denken wäre, welches nicht länger bestimmtes Ganzes, also durch Nichtsein begrenztes Ganzes wäre. In diesem Horizont ist dem Denken des endlichen Ich nach Krause beschieden, daß es »nach innen endlich ist, d. h. durchaus in bestimmten Grenzen ganz, endganz, nicht urganz oder unendlich« (117). Innerhalb des Horizontes seiner Endganzheit ist das Ich aufgrund der Zeitstruktur seines Seins sich selbst »unerschöpflich« (118). Mit den Begriffen »endganz« und.»urganz« aber reißt Krause eine Differenz auf, die diskursiv nicht mehr einlösbar ist. Auch wenn die Endlichkeit des Ich als »Ganzwesen« zu der Frage nach dessen Grund befugt (156), kann die Überzeugung, daß unser Wissen, »weil es in bestimmten Grenzen ein Wesentliches seiner Art ist«, »gegen sein Urganzes, das urganze Wissen, kein ausmessendes Verhältnis« hat (117), nicht Produkt des bestimmten Denkens-in-Endlichkeit sein, weil dessen Vollendungsgestalt allemal als das Ganze eines Bedingungsgefüges sich auch diese kategoriale Differenzierung einverleiben würde - nach dem folgenden Muster: die Differenz von »Endganzem« und »Urganzem« realisiert sich über die gegenseitig negierende Bestimmtheit beider, so daß sich -im Horizont endlichen Denkens - jeweils nur erwiese, das vorgebliche Urganze sei in Wahrheit das Endganze. -Ich halte also fest: für die Erfassung des Urganzen als unendlichen Wissens ist jede Terminologie diskursiven Begründungsdenkens notwendigerweise ungeeignet. Das Präfix »ur« ist keine Lösung, sondern nur eine Verstehenshilfe. 

Mit dem Begriff der Darstellung kommt Krause dieser Erwägung entgegen: Unser Denken und Erkennen ist »durchaus endlich und allseitig beschränkt«; aber den Grundbegriff des Schauens oder des Erkennens, der »keineswegs das Merkmal der endlich begrenzten Wesenheit an sich« hat, erkennen wir an »als auch in unserem Erkennen auf endliche Weise dargestellt« (119)! Zwischen Denken »endlich und allseitig beschränkt« und dem »klaren Denken als in seiner Art urganz oder unendlich« gibt es nach meiner Auffassung keine selbst denkend zu leistende Vermittlung! Der Begriff der Darstellung korreliert dem der Anerkennung: » daß wir in unserem endlichen Erkennen eine in dem unendlichen Erkennen Gottes enthaltene und diesem unendlichen Erkennen ähnliche endliche Wesenheit in uns anerkennen« (120, Hervorhebung von mir). 

Krause unterstreicht, die Urganzheit sei sogar »eher und leichter zu denken und zu schauen als die Endganzheit oder Endlichkeit« (120). Dieses ist nur plausibel, wenn wir darunter ein ursprüngliches Evidenzerlebnis verstehen, das vor aller diskursiven Bestimmtheit und deshalb als grundlose Wahrheit erahnt bzw. gewußt wird und das vom endlichen Denken dann als ermöglichender Urgrund jeder bestimmten Ganzheit anerkannt wird. Die Behauptung, »daß also Gott als das ohne Grenze schauende Wesen von uns ahnend gedacht werde« (121), ist nur auf dieser Ebene unmittelbaren Schauens zu formulieren, wo eine Identität des als selbständig Unterschiedenen (Gott-Mensch) erreicht wird, die sich nicht nach Grund und Folge, Ursache und Wirkung, Ganzem und Teil ausdifferenziert, sondern jeder Differenzierung gegen die ihr latent innewohnende >schlechte Unendlichkeit< Halt verleiht in einem absoluten Wahrheitswissen, das alle Bestimmtheiten begleitet. 

Es empfiehlt sich also, sich an die tiefere Einsicht Krauses zu halten, daß die WS aus den »untergeordneten endlichen Schaunissen und Gedanken« nicht erklärlich ist (167). Vielmehr ist sie »in unserem Geist ursprünglich gegeben« (177), sie bricht, wie es auch heißt, in das Bewußtsein herein (168)! Hier eröffnet sich demnach Gewißheit, die eines Beweises weder fähig noch bedürftig ist (177). Aus dieser absoluten Gewißheit, losgelöst von aller Logizität (Hervorhebung des Autors der Kritik), leitet sich die Gewißheit unserer Selbsterkenntnis ab: »da wir einsehen, daß Gott als Grund unseres Ich, und die Wesenschau Gottes als Grund unserer Selbstschauung gedacht wird« (178). Die Abgeleitetheit dieser Gewißheit aber kann gar nicht Abschwächung bedeuten - Gewißheit ist Gewißheit. Es ist dieselbe Gewißheit mithin, mit der wir Gott und mit der wir uns selbst erkennen (178)." 

Kritik: Hier zeigt sich bereits der grundsätzliche Mangel der kritischen Krause-Interpretation Kodalles. Die Wesenschau (WS) ist möglich, aber jegliche kategoriale, innere, deduktive logische Gliederung derselben ist unmöglich wegen:

a)     der Endlichkeit des menschlichen Denkens,

b)     der unlösbaren dialektischen in Sprache und diskursivem Denken enthaltenen Verknüpfung von Ganzem und Teil, Unendlichkeit und Endlichkeit.

Ausdifferenzierte logische Systeme hätten sekundäre Bedeutung, seien nur Abschattungen des im Wahrheitsereignis der WS eröffneten, stets unvollkommenen Versuche, im Medium der Zeit, also des Trennenden das zu entfalten, was als Differenz und Einheit in Gott ineins und zumal ist.

Dieser letzte Satzteil ist eine sehr schöne Näherungsformulierung für das, was in der Grundwissenschaft tatsächlich erkannt, aber von Kodalle für den Menschen als Erkenntnisbereich ausgeschlossen wird.

Lösgelöst von aller Logizität leitet sich nach Kodalle aus der absoluten Gewissheit die Gewissheit der Selbsterkenntnis ab. Dass der Mensch an der göttlichen Logizität teilhaben könne, wird ausdrücklich ausgeschlossen. Entscheidend ist also für Kodalle: Aus der Schau des Göttlichen ist die Erkenntnis eines göttlich-logischen Kategorienorganismus (Begriffsstruktur) mit dem Gott alles an und in sich erkennt, unendlich und unbedingt wahr erkennt, nicht möglich: eines logisch-axiologischen Systems, welches auch für das menschliche Erkennen, die menschliche Logik der oberste Kanon wäre. Für den Menschen gäbe es nur das Wahrheitsereignis der Gottschau, jeder Versuch einer begrifflichen Ausdifferenzierung oder In-Differenzierung ist für ihn infolge seiner Endlichkeit unmöglich, ist gebunden an die von ihm benützten Sprach- und Denkdiskursivitäten, jeder Schritt über diese Grenze und Begrenzung hinaus wäre anthropomorphes Hinauftragen menschlicher Begrifflichkeit ins Göttliche, bleibt als Vermittlung an die Begrenztheit des menschlichen Denkens gebunden. Demnach gäbe es - trotz der anerkannten Möglichkeit der WS- im weiteren viele Möglichkeiten menschlicher logischer Axiologien, mit denen der Mensch sich und die Welt erkennt, die alle, je nach den jeweils gerade glückenden Evidenzerlebnissen bestimmter Menschen "wahre" Erkenntnisse über das Ich und die Welt liefern. Es herrschte somit Beliebigkeit subjektiv-zurichtender Begrifflichkeit, Relativität und Ablösbarkeit, aber auch die Gleichzeitigkeit unterschiedlichster Systeme, welche gerade die Postmoderne (Z.B. http://or-om.org/Postpostmoderne.htm )thematisiert. 

Wichtig ist, folgendes zu sehen: Kodalles Ansatz ist hier genau an jene Begrenzungen gebunden, welche die Mängel der Hegelschen Logik ausmachen. Z.B.: "im Reden-über, bereits das begründende, diskursive Denken, das nicht anders kann, als mittels Negationen zu bestimmen, sich des ursprünglich-wesentlich Erfassten bemächtigt hat." Oder: :"die Struktur seines 'Endlichkeitseinschlusses' eröffnet sich aber nicht, wie Krause behauptet, der Schauung selbst, sondern spiegelt sich in der Diskursivität des Denkens (in dieser Hinsicht behält Hegel recht)". Und: "Nicht aber lässt sich die Dialektik von Teil und Teil-Ganzem transzendieren, dass also ein Ganzes zu denken wäre, welches nicht länger bestimmtes Ganzes, also durch Nichtsein begrenztes Ganzes wäre."

Mit aller Deutlichkeit ist aber bereits hier darauf hinzuweisen, dass Kodalle bei seinen Argumentationen gegen Krause aus Werken zitiert, die überhaupt nicht die von Krause aus der Grundschauung WESEN deduzierte Kategorialität, also den Or-Om-Gliedbau der göttlichen Kategorien genau enthält. Dies erfolgt präzise nur in den "Vorlesungen über das System der Philosophie II", und in der "Synthetischen Logik". Unabhängig von der Bindung an das Hegelsche System wird also auch der zentrale und für die Frage einer Deduktion der Kategorien (und damit einer Inhaltslogik) aus der Grundschauung WESEN wichtigste Teil der Werke Krauses überhaupt nicht berücksichtigt, noch weniger analysiert oder kritisiert. Dies ergibt sich auch aus der Fußnote 5 des Artikels:

"5)Seitenzahlen-Angaben in Klammer beziehen sich auf Krauses »Vorlesungen über die Grundwahrheiten der Wissenschaft, zugleich in ihrer Beziehung zum Leben, nebst einer kurzen Darstellung und Würdigung der bisherigen Systeme der Philosophie, vornehmlich der neuesten von Kant, Fichte, Schelling und Hegel, und der Lehre Jacobis«, 3. vermehrte und vielfach verbesserte Auflage. Aufs neue hrsg. von August Wünsche, Leipzig 1911 (Erste Auflage: 1829)."

Rafael V.Orden Jiménez erwähnt in seiner subtilen Monografie des Krause`schen Systems der Philosophie "El Sistema de la Filosofía de Krause" (1998) in Fußnote 681 eine ähnliche Situation in Spanien: J.M.Vásquez-Romero weist auf Denker hin, welche zwar die analytische Philosophie der Krausisten kritisieren, den synthetischen Teil derselben aber nicht kennen. Schließlich weist er in der genannten Monografie auch bereits ausdrücklich darauf hin, dass Kodalle sich in der Beurteilung Krauses nur auf die "Grundwahrheiten der Wissenschaften" stützt, womit Mängel verbunden sind. "Kodalle ha concentrado su interpretación en la Analítica de las Verdades fundamentales, cuyo desarollo - sobre todo en su parte final - desprende una impronta probatoria mucho más débil y argumentativemente inferior a la desplegada en la obra valorada por la mayoría de los otros autores, el Sistema." S. 501

In dem bei Kodalle zitierten Werk, den "Grundwahrheiten der Wissenschaften" sind viele Ausführungen vereinfacht, keineswegs genau dargelegt und eigentlich nur summarisch angedeutet. Dies erweist sich beim Umgang mit Krauses Metaphysik als eine schwere Unangemessenheit. Das Tor zum wichtigsten Teil der Metaphysik Krauses wird bereits im Vorhof mit Ziegeln aus dem System Hegels vermauert. Bisher hat kein einziger Philosoph in Deutschland eine Kritik der Grundwissenschaft und der synthetischen Logik vorgelegt.

Aus den erwähnten Vorlesungen und der Synthetischen Logik ( vgl. http://www.internetloge.de/krause/krlogik.pdf ) ergibt sich deutlich der wichtige Schritt, eben die bisherige Sprache für die Weiterbildung der Erkenntnistheorie überhaupt verlassen zu müssen. Hegel hingegen bleibt einerseits bereits durch die unkritische dialektisierende Übernahme der Kategorien Kants (vgl. unten) und im weiteren durch die Interpretation der menschlichen Sprache im Rahmen der dialektischen Bewegung des Satzes unweigerlich an die umgangssprachlichen Formen gebunden. 

Z.B. "So wenig, wenn ich sage, alle Tiere, dies Wort für eine Zoologie gelten kann, ebenso fällt es auf, dass die Worte des Göttlichen, Absoluten, Ewigen usw. das nicht aussprechen, was darin enthalten ist;- und nur solche Worte drücken in der Tat die Anschauung als das Unmittelbare aus. Was mehr ist als ein solches Wort, der Übergang auch nur zu einem Satz, enthält ein Anderswerden, das zurückgenommen werden muss, ist eine Vermittlung. "

"Es wird in einem Satze der Art mit dem Worte Gott angefangen. Dies für sich ist ein sinnloser Laut, ein bloßer Name; erst das Prädikat sagt aus, was er ist, ist seine Erfüllung und Bedeutung; der leere Anfang wird nur in diesem Ende ein wirkliches Wissen. Insofern ist nicht abzusehen, warum nicht vom Ewigen, der moralischen Weltordnung usw. oder wie die Alten taten, von reinen Begriffen, dem Sein, dem Einen usw. von dem, was die Bedeutung ist, allein gesprochen wird, ohne den sinnlosen Laut noch hinzuzufügen. Aber durch dieses Wort wird eben bezeichnet, dass nicht ein Sein, oder Wesen der Allgemeines überhaupt, sondern ein in sich Reflektiertes, ein Subjekt gesetzt ist. Allein zugleich ist dies nur antizipiert. Das Subjekt ist als fester Punkt angenommen, an dem als ihrem Halt die Prädikate geheftet sind, durch die Bewegung, die dem von ihm Wissenden angehört und die auch nicht dafür angesehen wird, dem Punkt selbst anzugehören; durch sie aber wäre allein der Inhalt als Subjekt dargestellt. In der Art wie diese Bewegung beschaffen ist, kann  sie ihm nicht angehören; aber nach Vorraussetzung jenes Punktes kann sie auch nicht anders beschaffen, kann sie nur äußerlich sein. Jene Antizipation, dass das Absolute Subjekt ist, ist daher nicht nur nicht die Wirklichkeit dieses Begriffes, sondern macht sie sogar unmöglich, denn jenes setzt ihn als ruhenden Punkt, diese aber ist die Selbstbewegung."

Kodalle unterschlägt in seiner Darstellung, dass Krause eine neue Sprachtheorie, welche über die obige Hegels  hinausgeht, entwickelt, geht auf diese inhaltlich nicht ein, sondern behauptet mit der Brille der Hegelschen Sprachtheorie, das es aus der dialektischen Verbindung der Hegelkategorien kein Entrinnen gäbe. Ein adäquater Umgang mit Krause müsste zumindest die neue Sprache samt den ihr zugrundeliegenden Begriffen darstellen, und sie dann inhaltlich kritisieren, was bisher in Deutschland nicht geschah.

Der Mensch erweist sich nach der Grundwissenschaft nicht als so endlich, wie Kodalle meint:

"Die Endlichkeit des Geistes im Schauen und Erkennen besteht nicht darin, dass er nur Endliches schaut. Denn er schaut WESEN, als das eine, unbedingte, unendliche Wesen, auch schauet er Unbedingtes und Unendliches jeder Art und Stufe; sondern darin besteht die Endlichkeit seines Schauens, dass alles sein Schauen, als sein Schauen, endlich ist, daher er sowohl das Unendliche als auch das Endliche nur auf endliche Weise schaut."

 

Der Kategorienorganismus der Grundwissenschaft

 

Um die in ihrer Zulässigkeit von Kodalle in Frage gestellten kategorialen Neuerungen der Grundwissenschaft zu explizieren, die sich aus der Einen, selben, ganzen, unendlichen und unbedingten Essentialität ergeben, wollen wir versuchen, einen Spezialfall zu entwickeln, an dem die wichtigen Deduktionen im Detail demonstriert werden können. Dieser Organismus erfordert die Einführung einer neuen Sprache! Begriffe wie 'Ganzheit', 'Bestimmtheit', 'Gegenheit' usw. haben in diesem System völlig neue Bedeutungen!  Es wird dann auch möglich sein, in einem Vergleich zu zeigen, dass sich im Kategoriensystem Hegels eindeutige Mängel ergeben. Eine vollwertige Analyse der Problematik ist mit Sicherheit nur durch ein Studium des II. Teiles der Vorlesungen über das System der Philosophie möglich.

 

Kategorienstruktur der geraden Linie

 

Die Or-Om-Logik der unendlich langen, geraden Linie

In unserem Gedankenexperiment wollen wir annehmen, es lebe irgendwo eine Gesellschaft von Menschen, das Volk der Karidonier, dessen Universum nur aus einer unendlich langen, geraden Linie besteht. Generationen von Forschern analysieren dieselbe und stellen Überlegungen an, wie diese Linie richtig zu er­kennen sei, welche Logik sich aus den Inhalten dieser Er­forschung ergebe. Sie fragen also: Wie muss der Bau unserer Logik sein, damit wir die Linie so denken, wie es ihrem Inhalt, ihrem Bau entspricht. Hier das Ergebnis, welches durch Mart Ulansidor,  - den man als karidonischen Krause bezeichnen könnte -, gefunden wurde.

Wichtig ist bereits einleitend zu beachten, dass die deutsche Umgangssprache nicht ausreicht, um die hier entwickelten Erkenntnisse genau zu bezeichnen. Es müssen daher einige neue, klarere Bezeichnungen für das Erkannte, für das Gedachte eingeführt werden (z. B. "Or" für das Ungegenheit­lich/Ganze/Eine, "ant" für das Gegen­heitliche, "mäl" für das Vereinte, "Ab" für die Beziehung des Höheren zum Niederen, "Neb" für die Beziehung von Nebengliedern usw.). Da die hier deduzierten, abgeleiteten Begriffe im System (LO) eine andere Bedeutung haben, als in der bisherigen Umgangssprache und den bisherigen Wissenschaftssprachen, auch jener Hegels , werden sie in der Axiomatisierung (LO) in einer besonderen Schrift (Lucida Sans) geschrieben. Umgekehrt wird hier aber auch dazu ange­regt, bisher überhaupt nicht gründlich genug Ge­dachtes erst einmal überhaupt zu denken.  

(LO 1) Was die unendlich lange, gerade Linie o AN sich ist

"AN" einem Wesentlichen ist, was von ihm ganz, durchaus gilt. "IN" einem We­sentlichen ist dasjenige Wesentliche, welches von ersterem ein Teil ist, und Gleichar­tiges des ersteren außer sich hat. Betrachtet wird bei der Linie o in (LO 1), was sie AN sich ist, also noch nicht, inwie­weit sie vielleicht auch Teile usw. hat (LO 1.1). AN der Linie o wird die Wesenheit go (in der FIGUR 2 go, gu, gi, ge usw.) erkannt. An der Wesenheit die Einheit. Dass die Linie im weiteren (LO 1.2) und (LO 1.3) auch Zweiheit, Mehrheit, Vielheit, Vereinheit von mehreren Teilen usw. ist und hat, wird hier noch nicht erkannt. Die Einheit, die hier er­kannt wird, ist eine ungeglie­derte, allen Teilheiten und Viel­heiten "IN" der Linie übergeordnete Einheit, die wir der Ge­nauigkeit wegen als Or­Einheit (go) bezeichnen können.

(LO 1.2) AN der Wesenheiteinheit go der Linie werden die Selbheit (gi) und die Ganzheit (ge) erkannt. Die Selbheit be­zeichnet man üblicherweise als Absolutheit und die Ganzheit als Unendlichkeit. Die Linie ist AN sich Eine, absolut und unendlich. Das Wort "Ganzheit" meint hier nicht eine Summe von Elementen, die zu einer Ganzheit zusammengefasst sind. (Diese finden sich erst in (LO 1.2 und LO 1.3.) Die Linie o ist IN sich auch Summen von Teilen usw. Aber als Linie o ist diese Ver­ein–Ganzheit von Teilen noch nicht ersichtlich oder erkennbar. Diese OrGanzeit oder unendliche Ganz­heit ist ein "über"geordneter Begriff. Das Wort "Selbheit" oder Absolutheit" der Linie o meint, dass sie an sich ist, ohne ir­gend ein Verhältnis nach außen. (Dies stimmt auch in unserem Modell, da es bei den Karidoniern au­ßer der Linie o ja nichts gibt.) Wesenheiteinheit (go), Selbheit (gi) und Ganzheit (go) stehen in der Gliederung der FIGUR 2 zueinander. Für die Gliederung der Mathematik sind go, gi und ge die Grundaxiome. Für die Lehre von Gegensatz, Negation, positiven und negativen Zahlen sind es die Ablei­tungen  IN go, für die Lehre von den Verhältnissen sind es die Ableitungen IN gi und für die Ganzheitslehre die Ab­leitungen  IN ge. Go und ge sind auch mitein­ander ver­eint und mit go als gu.

(LO 1.2.1) Wie ist die Wesenheit-Einheit (go) und wie sind im weiteren gi, ge und alle Verbindungen der Linie o in  FIGUR 2? Die FORM der Wesenheit go ist Satzheit do. Die Linie o ist das eine Gesetzte, Positive. Hier An der Linie o gibt es noch keine Nega­tion, kei­nen Gegen–Satz usw. Wir bezeichnen diese Satz­heit als Or-Satz­heit. Die Form der Selbheit gi ist Richt­heit di oder Bezugheit (Relationalität), aber auch hier gibt es nur die Eine Richtheit ohne noch ein Hin und Her oder son­stige ein­zelne Richtungen zu un­terscheiden, also Or-Richtheit. Die Form der Ganzheit ge ist Fassheit de ("um"fangen, befas­sen). AN der unendlichen, ganzen Linie wird noch nicht ein Um-fas­sen endli­cher Ganzer erkannt, sondern dieses Fassen der Or-Ganzheit hat keine Endlichkeit (FIGUR 3).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(LO 2)  Was die Linie o IN sich ist

 

 

 

Die Linie o ist IN sich gemäß der obigen Zeichnung Gegenlinie und Vereinlinie nach INNEN, so dass die Linie IN sich zwei ihr als o untergeordnete und IN ihr selbst als ganzer selber Linie nebengegenheitliche Linien i und e ist, wel­che AN sich gleichwe­sentlich und sich darin neben-gegenheitlich sind, dass die eine von bei­den ist, was die andere nicht ist und umgekehrt. Die Li­nie o aber, sofern sie ÜBER sich selbst als die beiden neben­gegenheitlichen entgegengesetzten Li­nien i und e ist, ist die Urlinie u, von i und e unterschieden, und in­soweit ist die Linie o in sich eine doppelgliedrige AB-Gegen­linie. Die Linie ist als u auch vereint mit den beiden Gegenli­nien i und e. Die beiden Ne­ben-Gegenlinien sind eben­falls mit­einander vereint.

(LO 2.1) IN der Linie o in der ersten Gliederung sind nur 2 Li­nien, die durch den Punkt X voneinander getrennt sind. Es gibt das Erste und das Zweite, das Zweite ist das Andere des Ersten. Das Erste ist, was das Zweite nicht ist und umge­kehrt. Beide sind einander nebenentgegengesetzt, ne­bengegenheitlich, andererseits ist aber die Entgegenge­setztheit der beiden gegen die Linie u eine Ab-gegenheit. Die Gegenheit der beiden Glie­der gegen u ist also eine andere als die Gegenheit der beiden i und e gegenein­ander. Die Linie o ist IN sich beide. Man kann also nicht sagen, das Eine ist die Linie o und das Andere sind die beiden Linien i und e. sondern es ist zu sagen: Die Linie o ist In sich sowohl das Eine als auch das An­dere. Unrichtig ist aber zu sagen: Die Linie o ist beide. Dar­aus ergibt sich, dass die innere Gegenheit in der Linie o zwei Glieder hat. Es ist unmöglich anzunehmen, dass die in­nere Gegenheit nur ein Glied hätte. (Hier liegt z.B. ein wichtiger Unterschied zu Hegel, bei dem nämlich, wie die Tafel unten zeigt, im Werden der Substanz in der 1.Negation nur ein Glied, nämlich das Dasein, das Äußere, die Natur, die Endlichkeit, das Anderssein, die Entfremdung wird.) Dadurch dass die eine der beiden Linien i nicht ist, was die andere Linie e ist, wird von der Li­nie o überhaupt nichts verneint. Dadurch, dass die Linie o in sich die beiden Linien i und e ist, wird sie nicht zum Anderen, wird von ihr auch überhaupt nichts verneint. Weiterhin ist zu beachten, dass die Linie o, soweit sie ÜBER i und e ist, und erst in dieser Hinsicht eine Beziehung nach innen hat, in (LO 1) aber, AN der Or-Linie o solche Beziehungen nicht gegeben sind ( Es sei denn, man meint alle Be­ziehungen, die wir in (LO 1) darleg­ten, diese Beziehungen sind Aber AN-Beziehungen.)

(LO 2.2) Die in (LO 1.2) angeführten Begriffe der Wesenheit go und ihrer AN-Gliederung, also Wesenheiteinheit, Selbheit (LO 2.2) 

 

n     also Wesenheiteinheit, Selbeit und Ganzheit (FIGUR 2) - erfahren bei der Gliederung der Linie o IN (LO 2) durch Linie u und die beiden Linien i und e ebenfalls eine Ab-Gegen-, Neben-Ge­gen- und Vereingliederung, die folgend dar­stellbar ist:

 

(LO 2.2.1) Die Wesenheit go, der unendlichen unbedingten Linie o erfährt in den beiden Linien i und e eine Veränderung. Die Neben-Gegen-Wesenheit der beiden Li­nien ist ihre Art­heit (Art, Qualität). In der Linie o ist zuerst einmal eine nur zwei­gliedrige Artheit: der qualitative Unterschied zwischen i und e.

(LO 2.2.2) Für die beiden Nebengegen-Glieder i und e ergibt sich als Gegenheit der Selbheit (gi) die Verhaltheit, das Verhält­nis. Sie stehen zueinander in einem Neben-Ver­hältnis, zur Linie u in einem Über-Unterverhältnis usw. AN der Linie o in (LO 1) gibt es keine Gegen-Verhält­nisse, sondern die Eine Selbheit, als Or-Selbheit. i verhält sich zu e in bestimmter Weise. Das Gegenselbe steht sich als ein Anderes wechsel­seitig entge­gen, eines ist des anderen Objekt.

(LO 2.2.3) Für die beiden Neben-Gegenglieder i und e ergibt sich als Gegenheit der Ganzheit (Or-Ganzheit der Linie o) die Teilheit. Das Gegenganze ist Teilheit. Die Linie o ist IN sich zwei und nur zwei Teile i und e. Hier ist auch die höchste Grund­lage des Mengen­begriffes gegeben. Man kann nicht sagen: die Linie o ist eine Menge, weil AN der Li­nie überhaupt keine Teilheit ist, wohl aber die Linie o ist IN sich in dieser er­sten Ge­genheit zwei und nur zwei Teile (Elemente). Wir unterschei­den aber die Ab-Teilung von der Neben-Teilung. Denn die untergegenheitlichen Teile nennt man Unter-Teile, (Ab-Ant-Ganze). In der Vereini­gung ergibt sich das Verein­ganze der Teile, die Erste Summen­bildung von i und e. 

In der Grundwissenschaft ergibt sich hier die qualitative Nebengenheit zwischen Geist (i) und Natur(e). Auch hier zeigt sich wiederum der Unterschied zu Hegel, bei welchem die Natur (e) im Werden 1 der Substanz, in der Negation 1 als Entäußerung des Geistes als das sich wissende Absolute in die Natur wird ( als Dasein, Äußeres, Natur, das Bestimmte, die Endlichkeit, die Entfremdung, das Anderssein) um schließlich im Werden des Daseins, in der Negation 2, der Reflexion im Anderssein in sich selbst, als aufgehobener, in sich reflektierter Gegenstand in Aufhebung und Kampf zum Geist, Fürsich, Resultat und Ende wird.

(LO 2.3). Auch hinsichtlich des Wie der Wesenheit usw. hin­sichtlich der Begriffe der Formheit do usw. ergeben sich für die gegenheitlichen Linie i und e neue Be­stimmungen.

 

Unter (LO 1.2.1) fanden wir, dass die Linie o Satzheit do hat. Hinsichtlich der Gliede­rung o, i, e, usw. ergibt sich hier Ge­gen-Satzheit und zwar wiederum Neben-Gegen­satz zwischen i und e, Ab-Gegensatzheit zwischen u und i usw. Die Gegensatzheit ist die Bestimmtheit. Bestimmtheit ist also eine Teilwesenheit an der Satzheit als Gegensatz­heit. i ist also gegen e bestimmt, aber auch u bestimmt e und i usw. Diese Gegen­satzheit hat selbst auch eine Form. Die Or-Satzheit ist der Form nach ganz Jaheit, ohne Neinheit, also Or-Jaheit. Diese Jaheit ist nun selbst wie­derum gegliedert

 

Statt der Or-Jaheit kann man sagen, die unendliche und unbe­dingte Positivität. Was die Gegen-Jaheit betrifft, so ist diese zugleich Gegen-Neinheit, entgegengesetzte Vernein­heit (oppositive Negativität). Das Nein oder Nicht wird daher nur hier erkannt. Die Gegenneinheit ist nur an der Gegenjaheit. Dadurch dass i bestimmt ist als das Eine von zwei Wesentlichen, ist es auch zugleich bestimmt als nicht sein Anderes, sein Gegenheitliches, hier also e ist von ihm verneint. Das Nein ist also nur in einer Beziehung gegen ein Anderes. Durch die gegensei­tige Teilverneinung i gegen e und umgekehrt, wird von der Unendlichen und unbe­dingten Li­nie o überhaupt nichts verneint. (Auch hier wieder ein wichtiger Unterschied zu Hegel, bei welchem sehr wohl im Werden der Substanz, in der Entäußerung des Geistes eine Negation derselben angenommen wird.) Hinsicht­lich der Li­nie o ist das Nicht nicht. Die Be­stimmtheit i gegen e besteht darin, dass es e ausschließt. Hier liegt die Grundlage der Wörter ja, nein, Nichts, des logischen „ist nicht“. Zu beachten sind na­türlich auch die Ge­genjaheiten von der Li­nie u gegen i bzw. e (Unter-Gegen-Verneinung oder Ab-Ant-Verneinung).

(LO 2.3.1) Auch die Satz-Einheit, an der Linie o, als unendliche und unbedingte Einheit der Satzheit (oder Zahleinheit), ist hier gegenheitlich zu finden als:

 

also Satz-Gegeneinheit, Satz-Vereinheit. Für die Zahl-Gegeneinheit wird das Wort Vielheit oder Mehrheit benützt. Zu beachten ist aber, dass hier noch keine Vielheit ge­geben ist, die mehr als Zweiheit wäre (Gegeneinheit). Statt der Vereinzahlheit sagt man All­heit, Totalität, die aber hier nur aus zwei vereinten Gegen-Glie­dern besteht. Von der Linie o gilt unbedingte und unendliche Zahleinheit, keine Vielheit, oder Mehrheit, keine Allheit. Die Linie o ist IN/UNTER sich die Vielheit und das Viele, die All­heit und das All oder die Totali­tät, das Universum aller Glieder in sich. Jede ur­sprüngliche Vielheit in der Linie o ist eine Zwei­heit, und jede Vereinzahlheit ur­sprünglich eine vereinte Zweiheit, da der Gegen­satz, oder die nach Ja und Nein be­stimmte Gegen­heit nur zweigliedrig ist. Die unbe­stimmte Vielheit oder Viel­zahligkeit ist hier noch nicht gegeben, z.B. die unendliche Viel­zahligkeit 1,2,3,4,5, usw.

Hier liegen die Grundlagen der Zahlentheorie: die oberste Zahl ist die unendli­che, unbedingte Eins (o). In ihr sind die bei­den gegenheitlichen Zahlen i und e, die ebenfalls noch unend­lich sind, aber gegeneinander begrenzt durch X. Sie sind nicht mehr ab­solut, sondern gegeneinander und gegen u relativ. Hier liegen die Grundlagen der widerspruchs­freien Mengenlehre. Denn die beiden ersten „Mengen", INNE­REN Ele­mente, von o sind i und e, beide selbst noch unendlich, aber bereits re­lativ.

(LO 2.3.1.1) Die Form der Satzeinheit oder Zahleinheit ist die unendliche, unbe­dingte Jaheit. Die Jaheit ist dann selbst wie­derum gegliedert wie unter (LO 2.3). Daraus er­gibt sich die Ja­heit und Neinheit der Zahlheit, hier aber erst für die beiden Teile i und e. Hier findet sich die Grundlage der mathemati­schen Lehre von den Zahlen und Gegenzahlen (den positi­ven und negativen Zahlen).

(LO 2.3.1.2) Auch die Richtheit di (als Form der Selbheit in LO 1.2.1) erfährt hier weitere Bestimmung:

 

Hier wird die Gegenrichtheit erkannt. Und zwar haben i und e nebengegenheit­liche Richtheit. i „fängt“ bei X an und „geht in die eine Richtung", e „fängt“ bei X an und „geht in die andere Richtung“. Weiters ist die Richtung von u nach i und e und um­gekehrt von i nach u usw. zu erkennen. Anstatt Richtheit sagt man gewöhnlich Dimension, Erstreckung. Der Begriff der Richtheit ist für die Ausbil­dung der Mathematik wichtig, bisher aber ungenau erkannt und entwickelt. Hier ist zu unterscheiden: die Eine Ganze Richtheit (Or-Richtheit di) der Linie o; die Ne­ben-Gegen­richtheit an den Teilgan­zen i und e und andererseits die Ab-Gegenrichtheit u gegen i und e usw. Hier hat der Be­griff der Richtheit noch nichts mit Zeit und Bewegung zu tun. (In der Umgangsspra­che wird Richtung ausgedrückt durch: hin und her, auf und ab, hinüber und her­über.)

(LO 2.3.1.3) Auch die eine selbe ganze Fassheit de, als Form der Ganzheit er­fährt hier Bestimmung.

 

Die Linie o hat „ungeteilte“ ganze Fassheit (Or-Fassheit), die beiden inneren Teile i und e haben Neben-Gegenfassheit, u hat ge­gen i und e Ab-Gegen-Fassheit, schließlich erkennen wir alle Ver­einfassheiten. Auch hier kann man sagen, dass die Linie o ganze Fass-Jaheit hat, dass aber von i und e neben-wechselseitig Fassjaheit und Fassneinheit gilt. Denn i fasst das, was e nicht fasst und umgekehrt. Daraus er­gibt sich das In-Sein und Außensein. e ist außer i und i ist außer e.

(LO 2.3.1.3.1) An dieser Stelle müssen wir noch genauer fra­gen: Wie ist die FORM dieses In-und Außensein? Die Form dieses einander In- und Außenseins ist die Grenz­heit. Das sieht man leicht indem man sagt: X ist die Grenze von i und e. Dort wo die Inbefassung von i aufhört, an der Grenze X, da fängt die Inbefas­sung von e an. Grenz­heit, Grenze ist also die Form des Ge­genfassigen. Es ist also deutlich, daß An der Linie o keine Grenze ist, sondern dass erst in der ersten In-Teilung der­selben, an i und e die Grenzheit als X gegeben und erkannt wird. i und e haben daher eine gemeinsame Grenze. Die Grenze X ist weder i noch e, sie ist ihre gemeinsame Grenze.

(LO 2.3.1.3.2) Fragen wir nun, was ist IN dem, was da inge­fasst, eingefasst wird. Der Inhalt des Infassigen wird als groß oder Großheit bezeichnet. Damit Größe da sein kann, muß etwas innerhalb bestimmter Grenzheit bejahig befasst sein. Der Be­griff der Groß­heit ist wiederum für die Mathematik grundlegend. Man hat daher die Ma­thematik oft irrtümlich auf die Größenlehre beschränkt. Hier wird aber gezeigt, dass die Mathe­matik viel mehr umfasst, und dass der Begriff der Großheit bisher auch nicht richtig erkannt wurde.

Betrachten wir das inbegrenzte Große, so erscheint die Grenze desselben als dessen Ende, als Endheit, oder umgekehrt als Anfang. Hier erkennen wir die Begriffe Endheit, Endlich­keit, und Un-Endlichkeit. Die Endlichkeit ist eine Bestimmung der Grenzheit, die Grenzheit wieder eine Bestimmung der Gegen­faßheit an der Großheit und mithin daher eine Bestimmung der Ganzheit als Gegen­ganzheit. Daraus zeigt sich, daß der Begriff der Endlichkeit nicht richtig gefun­den wird, ohne die Begriffe der einen, sel­ben, ganzen Richtheit (di), der Faßheit (de) und der Ganzheit (ge). Von der Linie o kann nicht gesagt werden, dass sie an sich endlich ist, oder Grenze hat, sondern nur, dass sie ganz (organz) ist und in ihrer Ganzheit auch alle Endlichkeit und Grenzheit des Gegen­ganzen in sich befasst.

(LO 3) In der dritten Erkenntnis fassen wir zusammen, was bisher erkannt wurde, also was die Linie o AN und IN sich ist.

Es gilt: Die Linie o ist AN sich und IN sich ein Organismus, heute würde man auch sagen eine Struktur. Die An-Gliederung und die Ingliederung wurden un­ter (LO 1 und LO 2) darge­stellt.

(LO 3.1) Dieser bisher dargestellte Gliedbau (Organismus, Struktur) der Linie o ist „voll"ständig. Hier ergibt sich die erste Erkenntnis hinsichtlich der Begriffe ALL-heit, Totalitiät. Diese Allheit ist aber nicht irgendeine unbestimmte ver­schwommene, sondern die Gliederung ist deutlich bestimmt.

(LO 3.1.1) Aus dieser Gliederung ergibt sich auch, dass die Ge­genheit nur zwei­gliedrig ist, denn es gibt keine anderen inneren Glieder der Linie o als i und e, und deren Ja­heit und Gegenja­heit (Neinheit). Natürlich gibt es auch „noch end­lichere“ Linie in o, aber das wird sich erst im folgenden ergeben.

(LO 3.1.2) Für diesen gegliederten Organismus gilt auch, dass alle hier entwic­kelten Begriffe aufeinander anzuwenden sind. So hat z.B. die Ganzheit (ge) auch Wesenheit, Selbheit und Gegen­selbheit, also Verhaltheit, Ganzheit, sie hat eine be­stimmte Form oder ist in bestimmter Grenzheit, gegenüber der Selbheit, usw. Wenn also derjenige Teil der Mathematik der sich mit Größen beschäftigt, voll ausgebildet werden soll, dann muss an der unendlichen und nach innen ab­soluten Ganzheit (hier Or-Ganzheit der Linie o) begonnen werden, was bisher nicht geschehen ist. Ein anderer Zweig der Mathematik ergibt sich aber aus der Selbheit (gi) und Gegenselbheit (Verhaltheit, Verhältnis), wenn dieser Begriff nach allen anderen Begriffen durchbestimmt wird (z.B. die Lehre von den Pro­portionen usw.).

(LO 4.1) Jeder der beiden Teile i und e in der Linie o (und auch die Vereinigung der beiden) ist selbst wiederum AN und IN sich Struktur, Organismus gemäß der Struk­tur (LO 1-3), also hat selbst wieder eine der Linie o ähnliche Struktur.

Es gilt: Wie sich die Linie o zu u, i und e und deren Gegen­heiten und Vereinhei­ten verhält, so verhält sich wiederum i zu dem, was es IN sich ist, usw...

(LO 4.1.1) Die Form dieses Ähnlichkeitsverhältnisses ist die Stufung, Abstufung (Stufheit), wo­bei sich das unter (LO 2.3.1.3) dargestellte Insein und Außensein nach innen fort­setzt.

(LO 4.1.2) Fahren wir nun mit der inneren Gliederung von i und e und deren Verei­nigung fort, so ergeben sich in i unend­lich viele Linien gemäß a1, in e unendlich viele Li­nien wie b1 und in der Vereinigung von i und e unendlich viele Linien wie c1. Analysie­ren wir die Ganz­heit, Großheit, Grenzheit und Endlichkeit (LO 2.3) dieser Linien a1, b1, c1, so fällt auf, dass sie zum Unter­schied von den Linien i und e „auf bei­den Seiten endlich sind“, beidseitig begrenzt sind, sie sind also ganz endlich, oder unend­lich-endlich. i und e sind also in sich unendlich endliche Glieder. Ein solches Glied der Linie o nennt man nun individuell, parti­kular. Wichtig ist zu erkennen, dass sich die Art der Endlichkeit von i einerseits und a1 andererseits unterscheiden. Die Glieder i und z.B. a1 gehören ver­schiedenen Stufen der Grenzheit, Begrenzung, verschie­denen Grenzheitsstufen an. Die Er­kenntnis dieses Unter­schiedes in der Grenzheitsstufe von Elementen in einem un­endlichen Ganzen ist ent­scheidend, um die Antinomien der bis­herigen Mengenlehre zu vermeiden.

(LO 4.1.3) Frage: Hat diese Gliederung der Linie o nach innen ein Ende? Ja! Und zwar: Die Linie o ist beidseitig unendlich. Genauer gesagt: sie hat unendli­che Or-Richtheit. Die Linien i und e gehö­ren noch der gleichen Grenzheitsstufe an, sie sind auch noch unendlich, haben aber gegeneinander die Grenze X, sind nur mehr einsei­tig unendlich (endlich-unendlich). Die Glieder a1, b1, c1, sind beidseitig endlich, sind also in der Stu­fung der Grenzheit noch weiter innen. Teilt man jedoch a1 weiter in 3 Teile, so erhält man der Artheit nach keinen neuen Typ von Li­nien, weil 1/3 von a1 wiederum eine beidseitig be­grenzte Linie ist. Die Grenzheitsstufe der Linientypen a1, b1, usw. ist also die letzte innere Grenzheitsstufe der Linie o. Hier ist das Ende der Endlichkeit (unterste Grenz­heit; Grenze der Grenze).

(LO 4.1.4) An diesen unendlich endlichen Gliedern (Elementen) in/unter o ist nun in zweifacher Hinsicht Unend­lichkeit.

1.     In den Gliedern i, e und ihrer Vereinigung gibt es jeweils unendlich viele unend­lich endliche Elemente (a1..,b1..,c1..).

2.     Jedes unendlich endliche Glied a1, usw. ist selbst weiter unendlich teilbar und bestimmbar.

(LO 4.1.5) Das Endliche, Bestimmte oder Individuelle jeder Art und Stufe ist also nicht isoliert, gleichsam losgetrennt von dem, was neben und außer, bzw. über ihm ist (z.B. a1 von o), es ist in/unter seinem höheren Ganzen und mit ihm ver­eint, wie auch mit den Nebengliedern.

(LO 4.1.5.1) Aus den bisherigen inneren Gliederungen der Li­nie o ergeben sich nun folgende weitere axiomatische Folge­rungen:

Die Stufung der Grenzheit und die Großheit sind nun mit der Selbheit und der Ge­gen-Selbheit, also der Verhaltheit verbun­den (vereint). Die allgemeine Lehre von der Verhaltheit (von den Verhältnissen) begreift in sich Verhältnis, Verhältnis­gleichheit (Analogie, Proportion), Verhältnis-Un­gleichheit (Disproportion), Verhältnisreihe (Progression), nach gleichen oder ungleichen Verhältnissen; die ersten Reihen sind Gleichver­haltreihen oder Verhaltstuf­reihen (Potenzreihen). Hinsichtlich der Verhält­nisgleichheit zeigt die reine Selbheitlehre zwei Grund­operationen: zu einen ge­gebenen Musterverhalte und einem ge­gebenen Hinterglied das gleichverhaltige Vorderglied zu fin­den; oder: zu ei­nem ge­gebenen Vorderglied das gleichverhal­tige Hinterglied zu fin­den. Auf die Ganzheit angewandt sind dies das Multiplizie­ren (Vorgliedbilden) und Dividieren (Nachgliedbilden).

(LO 4.1.5.2) Ferner entsteht hier das grenzheitsstufliche Verhältnis, also das Verhältnis von Ganzen, die zu verschiedenen Stufen der Grenzheit gehören (z.B. Linie i zu b1 usw.), als auch grenzheitsstufliche Verhältnisgleichheit, Verhältnis-Un­gleichheit und Verhältnis­reihe. Auch die analogen Axiome hin­sichtlich der Verhält­nisse von solchen Ganzen, die innerhalb einer und der selben Stufe der Grenzheit enthal­ten sind.

(LO 4.1.5.3) Hier ergeben sich nun zwei in der bisherigen Ma­thematik und Mengen­lehre nicht beachtete wichtige Folgerun­gen.:

Jede selbganzwesenliche also unendliche und ansich unbe­dingte Einheit jeder Art und Stufe (hier die Linie o) ist in/unter sich unendlich viele Einheiten der nächstnie­deren Grenz­heitsstufe (hier a1, b1, usw.; beachte i und e sind von der glei­chen Grenz­heitsstufe, wie die Linie o selbst!!) und so ferner bis zur unter­sten Grundstufe (die hier mit der beidseitig be­grenzten Linie gegeben ist). Diese Grundstufe ist nach allen Richtheiten (Strecken, Dimensionen) endlich, und be­steht selbst wiederum aus un­endlich vielen Einheiten dieser unter­sten Stufe (a1 kann man weiter unendlich tei­len). Jede jedstufige unendliche Ein­heit besteht aus unendlich vielen unendlich end­lichen Einheiten der untersten Stufe.

(LO 4.1.5.4) Hier zeigt sich auch der Grundbegriff der un­endlichen Vielheit und darin der unbe­stimmten Vielheit oder der un­endlichen und darin der unbestimm­ten Zahlheit, wobei ein Un­endlich-Gan­zes des Gleicharti­gen (hier der Linie o) vorausge­setzt wird, worin inner­halb voll­endet bestimmter Grenze, die endliche Einheit der Unendlich­keit des Gan­zen wegen, will­kürlich angenommen wird.

(LO 4.1.5.4.1) Hierauf beruht die mathematische Vorausset­zung, dass die Zahlen­reihe 1,2,3,.. und so fort unendlich ist und dass auch wiederum an jeder Zahl die ganze Zah­lenreihe darstellbar ist, durch Zweiteilung, Dreiteilung, Vierteilung usw. ohne Ende. Diese hier bewiesene, unendliche und unbestimmte Vielheit, als Grunda­xiom der allgemei­nen Zahlheitlehre (Arithmetik und Analysis) ist wiederum eine doppelte. Einmal die unendliche Artvielheit oder Artzahlheit von Ein­heiten, welche artver­schieden sind, oder die Zahlheit der dis­kreten Zahlen. (Dies ergibt sich aus dem obi­gen Satz LO 4.1.5.3)

Hier zeigt sich aber zum anderen auch die unendliche stetige Zahlheit, oder Stetzahlheit an Einheiten, welche in ih­rem stetigen Ganzen selbst binnen bestimmbarer Grenze ste­tig und unend­lich teilbar sind. Dies ergibt sich aus: Alles Stetige, Wesenheit­gleiche ist in sich unendlich bestimmbar und teilbar. Die Lehre von der Artzahlheit ist übri­gens von der Stetzahlheit zu unter­scheiden.

(LO 4.1.5.4.2) Im weiteren ergibt sich hieraus das Axiom der stetigen Großheit, und der ste­tigen Größen: unendliche Teilbar­keit, unendliche Vielmaligkeit jedes Endlichen in sei­nem Un­endlichen der nächsthöheren Stufe; die Gegenricht­heit hinsicht­lich der Richt­heit (Strecke, Dimension), das ist die Lehre von den gegen­richtheitlichen Größen, den positi­ven und negativen Grö­ßen. Ferner die Axiome der Stet­großheit und der Stetgrößen nach der SELBHEIT und der VERHALTHEIT. Denn es ist eine Größe entweder eine selbheitliche Größe (Selbgröße; ab­solute Größe) oder eine ver­haltliche Größe (gegenselbheitliche Größe), Verhaltgröße, re­lative Größe, welche hinsichtlich der mit ihr verglichenen Größe groß oder klein ist. Die Größever­haltheit ist selbst wiederum eine der Gegenselbheit (ein arith­metisches Verhält­nis oder Restverhältnis) oder eine der Verein­selbheit, darun­ter auch der Vielheit (ein sogenanntes geometri­sches Verhält­nis). Das gleiche gilt von der Verhaltheit hinsichtlich der Stetgroßheit.

(LO 4.1.5.4.3) Alle Größen der selben Grenzheitsstufe (hier die Linien a1, bn, c5.. usw.) stehen zu einer jeden beliebigen Größe der gleichen Grenzheitsstufe in einem bestimmten Grö­ßenverhältnis, welche letztere, wenn sie das bestim­mende Glied jedes Verhältnisses ist, die Grundeinheit oder absolute Ein­heit ge­nannt wird. (z. B. Ver­hältnis 1 zu 3 oder 3 zu 1 usw.) Je­des Verhältnis der Un­gleichheit ist diesseits oder jenseits des Ver­hältnisses 1..1, und zwar entweder eines der größeren Un­gleichheit z.B. 3 zu 1 oder der kleineren Ungleichheit z.B. 1 zu 3. [vgl. auch vorne unter (LO 4.1.5.1) die Grundoperationen des Multiplizie­rens und Dividierens].

(LO 4.1.5.4.4) Rein nach der Grundwesenheit der Selbheit sind an dem Stet­großen folgende Operationen gegeben: Addition und Subtraktion, indem entwe­der aus den Teilen das Teilganze oder aus einem oder mehreren Teilen des Teil­ganzen der an­dere Teil (der Rest) bestimmt wird.

(LO 4.1.5.4.5) Die Verhaltheit der Stetgrößen ist selbst artge­genheitlich (qualitativ) verschieden. Denn sie ist, wie alles Endliche, Bestimmte selbst nach Unendlichkeit und Endlichkeit bestimmt. Daher ist jedes geometrische Verhältnis zweier Stetgrö­ßen entwe­der ein unendliches oder ein endliches. Ersteres, wenn keine gemeinsame Ein­heit diese beide Glieder mißt, das Verhältnis also unzahlig oder unwechselmeßbar (irrational und inkommensurabel) ist, letzteres, wenn beide Glieder von der­selben Einheit gemessen werden, das Verhältnis also zahlig und wechselmeßbar ist.

(LO 4.1.5.5) Für die Begründung einer antinomienfreien Mengenlehre ist fol­gender Satz fundamental: Ein jedes Glied, ein jeder Teil einer bestimmten Grenzheitsstufe hat zu dem ihm übergeordneten Ganzen der nächsthöheren Grenzheitsstufe überhaupt kein Verhältnis der Großheit oder endlichen Vielheit. Man kann also nicht sagen: Die Linie o oder i sind größer als a1, oder b1. Wir haben zu beachten: Es gibt die Zahl, „Or-Größe“ Li­nie o, dann die beiden In-Größen (In-Zahlen) i und e, und schließlich die unendlich endli­chen Größen wie a1, b5, c7 usw. (Zur Überwindung der Antinomien der Mengenlehre siehe http://or-om.org/MI und KI1.htm).  

Wo gibt es in diesem System der geraden Linie ein WERDEN? Oder fehlt dieses in der Axiologie der geraden Linie:

(LO 5) Das Werden

Die Linien  i und e sind jede in ihrer Art unendlich, aber in ihrer Unendlichkeit im Innern unendlich bestimmt, das ist vollendet endlich und zwar insbesondere als diese beiden Teile in o; das ist, sie sind in sich eine unendliche Zahl vollendet endlicher, nach allen Wesenheiten bestimmter, Einzellinien, a1, a2...; b1, b2 ...usw.; (LO 4.1.2 ), denen wiederum alle Kategorien auf vollendet endliche Weise zukommen, und die in, mit und durcheinander zugleich in ihrem unendlichen Ganzen, von  i  und e sind.

Da  i und e in o, durch o, nach ihrer ganzen Wesenheit vereint sind, so sind sie es auch, sofern sie die beiden entgegenstehenden Reihen vollendet endlicher Linien in sich sind und enthalten; so dass diese beiden Reihen vereint sind. Es sind dies die unendlich vielen Linien, die sowohl auf i als auch auf e liegen. Darin gibt es wieder einen Typ unendlich vieler Linien, deren Abstand auf  i und e gleich lang ist und die wir als die Gruppe d1, d2, d3, usw. bezeichnen wollen.

Jede dieser Arten endlicher Linien a, b, c oder d kann sich nun in ihrer Länge verändern. Sie kann länger oder kürzer werden, diese Verkürzung und Verlängerung kann auch rhythmisch und zyklisch erfolgen. Dieser Zyklus läuft innerhalb der Linie in einer Dimension ab. Man kann aber diesen Zyklus auch in einer zweidimensionalen Kurve darstellen. Eine solche Darstellung ist aber für die Karidonier, welche nur die Logik der eindimensionalen Linie kennen, unmöglich! 

Beispiel einer zyklischen Veränderung einer Linie a1, die für die Karidonier aber unverständlich wäre, da sie nur in einer Dimension leben:

 

Ausgehend vom Anfang erfolgt die "Geburt" der Linie, sie entwickelt sich in ihrer inneren Differenzierung der Antithese, erreicht ihren Höhepunkt in der Synthese und beginnt dann abzunehmen und geht über in ihr Ende, welches der Beginn eines neuen Anfangs ist, usw.

Zu beachten ist aber, dass sich die Linien o, i und e nicht verändern können, weil sie unendlich sind. Sie können nicht kürzer oder länger werden. Anderseits können Linien der Typen a, b, c und d nie unendlich lange werden. Sie bleiben immer unendlich-endlich, auch wenn man annimmt, dass sie sich unentwegt ausdehnen!

Der vollendet endlichen Zustände aber der endlichen Linie z.B. a1 sind unendlich viele, weil auch die Wesenheit des Endlichen, als solche, wiederum unendlich ist (siehe LO 4.1.4); und nur alle diese Zustände des Länger- und Kürzerwerdens, alle zugleich sind die ganze, vollendet endliche Wesenheit dieser Linie, deren Zustände sie sind. Gleichwohl schließen sich alle diese vollendet endlichen Zustände an demselben Wesenlichen wechselseitig aus, da sie mit unendlicher Bestimmtheit alles Andere nicht sind. Also ist die vollendet endliche Linie z.B. a1 beides zugleich, das ist, alle ihre Zustände, und doch nur auf einmal ein jeder von diesen Zuständen einzeln; das ist: sie ist in steter Änderung nach der Form der Zeit, sie ist ein stetiges Werden.

Also sind die Linien selbst vor und über ihrem Werden in der Zeit; sie selbst entstehen und vergehen nicht, sondern nur ihre unendlich endlichen bestimmten Zustände. Auch das Ändern selbst ist unänderlich, und bleibend in der Zeit. Auch die Zeit ist unendlich, unentstanden, und ihr stetig fortschreitender Verflusspunkt ist einer für die Linie o und für alle Linien in o. Alles in der Zeit Werdende ist die Wesenheit der Linie o und aller Linien in ihr  selbst, wie sie in sich als vollendete Endlichkeit ist, und sich offenbart. Alles Individuelle eines jeden Verflusspunktes (Momentes) ist eine eigentümliche und einzige Darstellung der ganzen Wesenheit der Linie o in in ihren Linien in sich; oder jeder Moment des Geschehens (der Geschichte) ist einzig, von unbedingtem göttlichen Inhalt und Werte. Die Linie o selbst als das Eine, selbe, ganze ändert sich nicht, und ist in keiner Hinsicht zeitlich, oder in der Zeit; denn in keiner Hinsicht ist die Linie o an sich Endlichkeit, noch ist eine Grenze um die Linie o (wir nähmen ja an, dass es außer ihr nichts gibt!); und die vollendete zeitlichwerdende Endlichkeit ist nur an dem Wesenlichen in der Linie o.

Die Linie o selbst als Urlinie u ( LO 2)  ist der Eine, selbe, ganze Grund und die Ursache des Einen stetändernden Werdens in ihr: und, infolge der Ähnlichkeit, ist auch jede endliche Linie in o in dem Gebiete ihrer eigenen Wesenheit nächster Grund und Ursache  ihres ganzen stetändernden Werdens alles Individuellen in ihr; aber nur als untergeordneter endlicher Mitgrund und Mitursache, in Abhängigkeit von der Linie o als dem Einen Grunde und der Einen Ursache der Wesenheit jeder endlichen Linie. 

Ein äußerst wichtiger Unterschied zum System Hegels besteht nun darin, dass das Werden, das Ändern  nicht den gesamten Begriff ausmacht. Das Werden ist nur ein innerer Teil der Wesenheiten eines jeden Endlichen. Das Unendliche bestimmter Stufen, hier die Linien o, i und e haben überhaupt kein Werden. Auch alles Endliche ist aber orseinheitlich, urseinheitlich und ewig immer gleich, und ist nur in sich auch Werden. 

Es ergibt sich daher bezüglich der Seinheit folgende Gliederung:

jo         eine, selbe, ganze Seinheit (Orseinheit)

ju         Urseinheit

ji          Ewigseinheit

je         Zeitlichseinheit (nur hier gibt es Werden und Veränderung).

Hierbei sind alle Gegensätze (z. B. zwischen ju und je oder ji und je) sowie alle Vereinigungen zu beachten.

 

 Das von Hegel in Kreisen gedachte Werden des Begriffes als Inhaltslogik usw. ist also im System Krauses lediglich als kreisförmiges, zyklisches Werden und Vergehen  und nur dort gegeben.

So ergibt sich etwa für die Menschheit folgende Entwicklungszykloide:

Die Entwicklungsgesetze

Soweit sich Lebewesen, Gesellschaften usw. verändern, werden und entwerden, folgen sie Entwicklungsgesetzen, die in Werk 28 dargelegt sind. Sie können durch die folgende Zykloide dargestellt werden.

 I. Hauptlebensalter (I. HLA): These

Das endliche Wesen, Gesellschaften von Wesen und deren innere Gesellschaftlichkeit sind zeitlich gesetzt und nach ihrer ganzen Selbstheit ungetrennt enthalten in der einen Selbstheit Gottes. Sie sind dabei in ungetrennter Wesensheiteinheit mit Gott und sind sich dessen nicht bewusst. Ihre Selbstheit ist nicht entgegengesetzt und noch nicht unterschieden in der unendlichen und unbedingten Selbstheit Gottes. Bildlich ist dies der Zustand im Mutterleib.

 II. Hauptlebensalter (II. HLA): Antithese

Das endliche Wesen, Gesellschaften von Wesen und deren innere Gesellschaft­lichkeit werden sich ihrer Selbstheit bewusst und zugleich setzen sie ihre Selbstheit jeder anderen Selbstheit unterscheidend entgegen. Sie setzen sich zuerst der unendlichen und unbedingten Selbstheit Gottes entgegen, ihr Eigenleben steht dann in der gegenheitlichen, entgegengesetzten und unterscheidenden Selbstheit. Dies führt zu einer Unterscheidung von allem und jedem nach außen und im Fort­schritt des Lebens auch zur vernünftigen Unterscheidung in und von Gott. Bild­lich ist dies der Zustand der Geburt und der Kindheit bis zur Pubertät.

III. Hauptlebensalter (III. HLA ): Synthese

In diesem Alter wird die unterscheidende Selbheit und Selbstheit als solche mit der Selbheit und Selbstheit Gottes als Urwesen und dann auch aller endlichen Wesen in Gott vereingesetzt. Die Menschen werden sich der wesenhaften Vereinigung ihres selbständigen Lebens mit dem selbständigen Leben Gottes als Urwesen und aller endlichen Wesen in Gott und durch Gott inne. Sie bemühen sich dann, soweit es in ihrem Vermögen liegt und unter Mitwirkung vor allem Gottes als Urwesen, diese Lebensvereinigung zu verwirklichen. Bildlich ist dies das vollreife Erwachsenenalter.

Jedes dieser HLA ist selbst wieder in drei Phasen gegliedert, die wiederum nach These, Antithese und Synthese bestimmt sind. Für uns von Wichtigkeit ist die Gliederung des II. HLA, in dessen verschiedenen Phasen sich die Menschen, Gesellschaften und inneren Funktionen und Systeme der Gesellschaftlichkeit sowie die Sozialsystemfaktoren derzeit befinden.

1. Phase (II. HLA, 1) – Autorität

Bevormundung oder autoritäre Einbindung des Elementes (z. B. Individuum oder Gesellschaft) in andere der gleichen oder einer anderen Art. Keine Selbständigkeit gegenüber anderen Faktoren oder gegenüber anderen Elementen der gleichen Art.

2. Phase (II. HLA, 2) – Emanzipation, Autonomisierung

Es kommt zur Autonomisierung des Faktors gegenüber allen anderen Faktoren und zu zunehmend freier Entfaltung der inneren Mannigfaltigkeit desselben. Innerhalb des gleichen Faktors erfolgt eine zunehmende Differenzierung, Verzweigung, Ausgestaltung, teilweise ohne Rücksicht auf die Nebenglieder der gleichen und anderer Arten. Die autonome Selbstentwicklung geht zumeist mit deutlicher Abgrenzung gegen Elemente der gleichen und anderer Art vor sich.

3. Phase (II. HLA, 3) – Integration

In der Phase der Integration wird versucht, den autonomen Individualismus unter zunehmender Berücksichtigung der Nebenglieder der gleichen und anderer Arten zu überwinden. Es kommt zur Bemühung um Abstimmung und Verbindung mit Neben- und übergeordneten Elementen. Die Berücksichtigung der gegenseitigen Abhängigkeiten nimmt zu.

4. Phase (III. HLA)Allsynthese und Allharmonie

In der 4. Phase erfolgt eine Allsynthese und Allharmonie aller Elemente mit allen Elementen der gleichen Art und aller anderen Arten. Es bildet sich panharmonische Gesellschaftlichkeit gemäß der Struktur und Gliederung der absoluten Essentialität nach der Grundwissenschaft.

Mit Nachdruck möge der Leser die völlig andere kategoriale Positionierung der Zykloide bei Krause und Hegel beachten, wie auch die unterschiedliche inhaltliche Bestimmung der drei Phasen: These, Antithese und Synthese. Bei Krause ist der Zyklus nur eine innere Bestimmung des Zeitlichseins, nicht des gesamten Begriffes jo, ju, ju, und je.

Man könnte nun noch folgende Rettung des Heglschen Begriffs als Werden versuchen. Man könnte sagen, die Ableitungen, die wir von (LO1) bis (LO 5) durchführten, sind eben in ihrem "Werden" der gesamte Begriff im Hegelschen Sinne, nach dem unten angeführten Hegelschen Schema. Wie jeder aber sieht, wären die dialektischen Momente, die sich von (LO 1) bis (LO 5) ergeben, selbst wenn man sie als These, Antithese und Synthese interpretieren würde, inhaltlich kategorial anders bestimmt, weil ja Hegel die Kategorien Kants benützt, Krause aber ausgehend von (LO 1) völlig neue Kategorien entwickelt, deduziert.

 

 

Struktur der Universalsprache, Or-Om-Sprache

Auch für diese Universalsprache gelten die obigen mathematischen Beziehungen zwischen Unendlichkeit und Stufen der Endlichkeit nach ( LO 1 bis LO 4). Sie impliziert eine völlig andere Theorie der Sprache als die unten erwähnte Hegels.

 

Die neuen Ausdrücke sind daher: Orheit, Antheit, Mälheit und Omheit. Die Or-Omheit ist die Summe aller obigen formalen und inhaltlichen Beziehungen. Die Ausdrücke sind Kunstwörter, wie sie auch in anderen Wissenschaften geschaffen werden. Wer sie befremdlich findet, könnte auch andere entwerfen; diese müssten nur inhaltlich den hier dargelegten Erkenntnissen entsprechen. Der Schwierigkeitsgrad für ein Verständnis erscheint nicht höher als in der derzeitigen Mengenlehre.

 
Verhältnis Krause -  Hegel
Ist die Philosophie Hegels ein Opfer der Intuition Kants?

In der Hegel-Kritik muss vor allem die enormen Abhängigkeit seiner Kategorien und deren Verknüpfung von den Kategorien Kants beachtet werden, worauf bereits Krause hinwies. Hegel hat nicht nur die meisten Begriffe aus dem System Kants übernommen, sondern es finden sich bereits bei Kant selbst Hinweise auf die Vorstellung des dialektischen Dreischritts. Hier kann wohl nur der Grundgedanke skizziert werden.

Die Kategorien bei Kant

"Logische Tafel der Urteile:

I.                    Der Quantität nach : Allgemeine, Besondere, Einzelne.

II.                 Der Qualität nach   : Bejahende, Verneinende, Unendliche.

III.               Der Relation nach  : Kategorische, Hypothetische, Disjunktive.

IV.              Der Modalität nach: Problematische, Assertorische, Apodiktische.

Transzendentale Tafel der Verstandesbegriffe:

I.                    Der Quantität nach : Einheit (das Maß), Vielheit (die Größe), Allheit 

                                 (das Ganze).

II.                 Der Qualität           : Realität, Negation, Einschränkung.

III.               Der Relation          : Substanz, Ursache, Gemeinschaft.

IV.              Der Modalität        : Möglichkeit, Dasein, Notwendigkeit."

Es findet sich aber auch die Anmerkung zu dieser Tafel: "Über eine vorgelegte Tafel der Kategorien lassen sich allerlei artige Anmerkungen machen, als: 1) daß die dritte aus der ersten und zweiten in einen Begriff verbunden entspringe ..." Auch in der "Kritik der reinen Vernunft" findet sich ein ähnlicher Gedanke: "2te Anmerkung: Dass allerwärts eine gleiche Zahl der Kategorien jeder Klasse, nämlich drei sind, welche eben sowohl zum Nachdenken auffordert, da sonst alle Einteilung a priori durch Begriffe Dichotomie sein muss. Dazu kommt aber noch, daß die dritte Kategorie allenthalben aus der Verbindung der zweiten mit der ersten ihrer Klasse entspringt."

 

Den Einfluss Kants versucht Hegel etwa in folgenden Sätzen der "Phänomenologie" abzuschwächen: "Ebensowenig ist – nachdem die Kantische, erst durch den Instinkt wiedergefundene, noch tote, noch unbegriffene Triplizität zu ihrer absoluten Bedeutung erhoben, damit die wahrhafte Form in ihrem wahrhaftigen Inhalt aufgestellt ..."

Wenn man nun davon ausgehen kann, dass die Kategorientafel Kants durch ihre Verhaftung in den Strukturen der etablierten Sprache und formalen Logik ihre Mängel und Begrenzung besitzt, dann wird natürlich die Übernahme dieser Kategorien in einem anderen System auch zur Relativierung des letzteren führen müssen.

Nun zeigt sich aber, dass diese intuitiven Bemerkungen Kants bezüglich des Übergangs der dritten Kategorie aus der ersten und zweiten nichts anderes als das System Hegels im Grundgerüst ist. Dies zeigt das obige Schema aus der Wissenschaft der Logik.

"Dass die dritte aus der ersten und zweiten in einen Begriff verbunden entspringe", heißt es bei Kant. Ist die Gliederung bei Kant: Allgemeines, Besonderes, Einzelnes mangelhaft, dann kann dieser Mangel durch den dialektischen Dreischritt nicht beseitigt werden.

Hegel hat offensichtlich diesen – bereits bei Kant zu findenden – Dreischritt auch auf das Verhältnis von Gott, Geist und Natur angewendet und kommt daher in der Phänomenologie des Geistes zu folgendem Ergebnis:

 

 

 

Für die Entwicklung der Philosophie in Europa waren vor allem zwei Mängel verheerend. Die dialektische Denkmethode im Dreischritt und die damit verbundene Positionierung aller in der Philosophietradition vorgefundenen Begriffe, die von Kant teilweise bereits in Dreiergruppen vorgeordnet waren, in dieses Schema. Da Hegel dieses Dreierschema auf die verschiedensten Wissenschaften anwendete, ergaben sich daraus gefährliche Fehleinschätzungen (etwa der Sozialevolution, der Stellung der Natur oder der Frau usw.).

Der Kategorienorganismus der geraden Linie beim karidonischen Hegel

Wir nehmen nun weiterhin an, es hätte einen karidonischen Hegel gegeben, der eine Logik der geraden Linie entwickelte. Sie erweist sich als völlig anders als jene Mart Ulansidors. 

Beim  karidonischen Hegel würde die Logik der Linie nur zwei Glieder besitzen: Die Linie (1) und das auf beiden Seiten endliche Stück a1 in Linie (3). Die logischen Zusammenhänge zwischen den beiden wären durch die Dialektik des Begriffs folgend bestimmt.

 

Die Ausführungen Hegels in der Wissenschaft der Logik in dem Abschnitten: Bestimmung, Beschaffenheit und Grenze/Die Unmittelbarkeit der Endlichkeit/Die Schranke und das Sollen/ Übergang des Endlichen in das Unendliche/Die Unendlichkeit wären diesbezüglich als aufschlussreich heranzuziehen.

 

Hegel schreibt etwa:

 

 "das Unendliche ist a) in einfacher Bestimmung das Affirmative als Negation des Endlichen;

b) es ist aber damit in Wechselbestimmung mit dem Endlichen und ist das abstrakte, einseitige Unendliche;

c) das Sich Aufheben dieses Unendlichen wie des Endlichen als ein Prozeß - ist das wahrhaft Unendliche.

...Das Unendliche steht somit nicht als ein für sich Fertiges über dem Endlichen, so dass das Endliche außer oder unter jenem sein Bleiben hätte oder behielte"...

"Wenn gesagt wird, was das Unendliche ist, nämlich die Negation des Endlichen, so wird das Endliche selbst mit ausgesprochen; es kann zur Bestimmung des Unendlichen nicht entbehrt werden."

 

"Das Unendliche steht somit nicht als ein für sich Fertiges über dem Endlichen, so dass das Endliche außer oder unter jenem sein Bleiben hätte und behielte... Insofern aber das Endliche selbst in die Unendlichkeit erhoben wird, ist es ebensowenig eine fremde Gewalt, welche ihm dies antut, sondern es ist dies seine Natur, sich auf sich als Schranke, sowohl als Schranke als solche wie als Sollen, zu beziehen und über dieselbe hinauszugehen oder vielmehr als Beziehung auf sich sie negiert zu haben und über sie hinaus zu sein. Nicht im Aufheben der Endlichkeit überhaupt , wird die Unendlichkeit überhaupt, sondern das Endliche ist nur dies, selbst durch seine Natur dazu zu werden. Die Unendlichkeit ist seine affirmative Bestimmung, das, was es wahrhaft an sich ist."

 

Hegel unterscheidet von seiner Auffassung des Unendlichen als Werden im obigen Sinn, das Schlecht Unendliche, das Unendliche des Verstandes, z.B. bei dem Progreß ins Unendliche, "der in so vielen Gestalten und Anwendungen als ein Letztes gilt, über das nicht mehr hinausgegangen wird, sondern angekommen bei jenem 'und so fort ins Unendliche' pflegt der Gedanke sein Ende erreicht zu haben".

 

In unserem Beispiel ein Hinausgehen von a1, durch Aneinanderfügen weiterer gleich langer oder immer kürzer oder länger werdender Strecken a3, a4 usw. Hegel meint:

 

"Es ist ein abstraktres Hinausgehen vorhanden, das unvollständig bleibt, indem über dies Hinausgehen nicht selbst hinausgegangen wird. Es ist das Unendliche vorhanden; über dasselbe wird allerdings hinausgegangen, denn es wird eine neue Grenze gesetzt, aber damit eben wird vielmehr nur zum Endlichen zurückgekehrt. Diese schlechte Unendlichkeit ist dasselbe, was das perennierende Sollen; sie ist zwar die Negation des Endlichen, aber sie vermag sich nicht in Wahrheit davon zu befreien; dies tritt an ihr selbst wieder hervor als ihr Anderes.."

 

Dass Hegel den Begriff der unendlichen geraden Linie   so sieht, wie wir es oben darstellten, ergibt folgendes Zitat: "Das Bild des Progresses ins Unendliche ist die gerade Linie, an deren beiden Grenzen nur das Unendliche [ist], und immer nur ist, wo sie, - und sie ist Dasein - nicht ist und die zu diesem ihren Nichtdasein, d.i. ins Unbestimmte hinausgeht; als wahrhafte Unendlichkeit, in sich zurückgebogen, wird deren Bild der Kreis, die sich erreicht habende Linie, die geschlossen und ganz gegenwärtig ist, ohne Anfangspunkt und Ende."

 

Vom Bild der Linie weicht nun Hegel in den Kreis aus, um seine Bewegung des Begriffs zu erklären. Auch die Or-Linie o in (LO 1) hat keinen Anfangspunkt  und kein Ende. Hegels Übergang von der geraden Linie Zur Kreislinie ist logisch unzulässig. Der Kreis geht über die Logik der eindimensionalen Linie hinaus in die endliche zweidimensionale Fläche! Die Linie o (LO 1) will Hegel nicht als ohne Anfang und Ende sehen. Die gerade unendliche Linie o wird nicht zum Kreis. In der Logik der Eindimensionalität kann, wie wir oben zeigten,  nicht auf zwei Dimensionen übergegangen werden.

 

Aus diesen Ausführungen des karidonsichen Hegel wird sichtbar, dass er nicht bedenkt, dass er zwar eine unveränderliche, 'ruhige', deduktive Erkenntnis der Linie o nicht für möglich hält, er bedenkt aber nicht, dass sein eigenes Schema der Bewegung selbst ein ruhiges, unveränderliches Schema ist, das jenseits jeden Werdens ewig und unveränderlich ist.  Auch bei Hegel gibt es also eine STRUKTUR der unendlichen, geraden Linie, die unwerdend ist!! Wie kann dies legitimiert sein?

Die Unendliche und absolute Linie (1) als Subjekt, Erstes, Allgemeines wird im Werden 1,der Negation1 im analytischen Moment der Allgemeinheit und der 1. Prämisse des Schlusses das Negative von 1 als Zweites, Besonderes, Äußeres, Dasein, Bestimmtes, Endlichkeit. Hier ist der Wendepunkt des Begriffs. Als dieses ist es in unserem Schema der geraden Linie auf jeden Fall ein endliches Stück wie, a1, a2, a3 usw. Keineswegs ist es bei Hegel eines der beiden noch auf einer Seite unendlichen In-Teile i oder e! Im Werden2, der Negation 2, im Synthetischen Moment, im Moment der Einzelheit, in der Zweiten Prämisse des Schlusses wird das Zweite in der Negation der Endlichkeit zum Dritten, Einzelnen, dem konkreten Subjekt. Aus der unendlich endlichen Linie a1, oder a2 usw. wird die Linie (1), bei Hegel eigentlich ein Kreis!.

 

Abschlussfrage

 

Könnte man nun bei Vergleich der Strukturen der geraden Linie bei Hegel und Krause im postmodernen Sinne sagen: Grundsätzlich ist die Vorstellung eines Aktual-Unendlichen überhaupt abzulehnen. (das geschieht in vielen Grundlagentheorien der Mathematik). Wenn man aber schon so verstiegene Theorien entwickelt, muss es im Sinne der postmodernen Grundsätze Geschmacksache bleiben, für welches der beiden Systeme man sich entscheidet. Jeder kann wählen! Tatsächlich kann/soll ein gesellschaftlicher Konsens über derartige Fragen nicht erzwungen werden. Jeder hat selbst zu prüfen. Es sollte aber nicht, wie bei Kodalle geschehen, so sein, dass man über das System Krauses Aussagen trifft, ohne seine Or-Om-Struktur der geraden Linie, seiner Logik und seiner Sprachtheorie überhaupt zu explizieren und mit einer anderen, etwa derjenigen Hegels, zu vergleichen.

 

Kann man aber nicht einfach sagen: wie man die gerade Linie nun gliedert, ob im Sinne Krauses oder Hegels ist doch im Grunde gleichgültig. Es gibt eben viele Möglichkeiten, in derart komplexen Zusammenhängen eine Ordnung zu fixieren, zu finden oder eben erst mutwillig zu konstruieren. Der Leser hat selbst zu entscheiden, ob die Qualität der beiden Systeme gleich überzeugend für ihn ist.

 

Kehren wir nun zu Kodalles Kritik zurück. Im obigen Bilde bleibend, lehnt er die Logik der geraden Linie bei Mars Ulansidor als unzulässig ab, ohne sie jedoch in ihrer Differenzierung überhaupt zu erwähnen. Er lehnt sie ab, indem er die Logik der geraden Linie bei Hegel für die einzig mögliche und zulässige hält. Wir wollen im folgenden in seinen Text immer unmittelbar an seine Sätze unsere Kritik anfügen, um die Unterschiede noch klarer sichtbar zu machen.

"IV. Wesen-in-Differenz – ein Hegelsches Kritik-Argument gegenüber Krause

Gerade im Zentrum seines Denkens, in der Lehre von der WS, beschwört Krause die Stärke seines Gegners Hegel auch wider sich herauf. Er gibt sich nicht damit zufrieden, die WS als jenes Wahrheitsgewißheitsereignis zu beschreiben, von dem her unsere endlichen begrifflichen Entfaltungen ihr »Leuchten«, ihre innere Teleologie, ihr sie begleitendes Akzeptanzbewußtsein erfahren. Nein, er möchte die Endlichkeit selbst wiederum, denkend gleichsam aus der Immanenz der WS, relativieren und das Wesen als Wesen an sich in Relation mit sich erfassen."

Kritik: Die obige Gegenüberstellung der Linienstruktur bei Krause und Hegel zeigt, dass nur beim Stehenbleiben bei einer dialektischen Theorie der Umgangssprache wie bei Hegel, eine neue, andere Struktur sowohl der Linie, als auch der Sprachstruktrur ausgeschlossen werden muss. Natürlich bleibt es dem Nachdenken überlassen, nach Einsicht in beide Systeme zu wählen, aber mit Sicherheit kann man das Or-Om-System der Linie nicht einfach als unzulässig beiseite schieben. 

"Krause gibt tatsächlich vor, »Wesen« in differenzierten Funktionen der reinen Selbstbezüglichkeit »ohne allen Anthropomorphismus« zu denken; in Wahrheit wird die Erschleichung nur durch das Präfix »or« (Orwesen) kaschiert." 

Dass in der Entwicklung der Kategorien der Or-Linie eine Erschleichung vorliegt, kann Kodalle wohl nur behaupten, ohne die entsprechenden Teile der Grundwissenschaft zu erwähnen. Er müsste, um hiezu berechtigt zu sein, zumindest jene Werke zitieren, in welchen Krause dies deduziert. Wo liegen in (LO 1) die Anthropomorphismen?

"Dabei versteigt er sich sogar dazu, ein Phantasie-Leben Gottes, seine Ein-Bildung (jenseits aller Zeitlichkeit) zu projizieren, worin sozusagen jeder Einzelmensch z. B. nach seinem »Soll-Begriff« respektive »Soll-Bild« präsent ist."

Auch hier sollte Kodalle Vorsicht walten lassen. Ohne die Synthetische Logik (vgl. http://www.internetloge.de/krause/krlogik.pdf) ausführlich zu zitieren, erscheint es völlig unzulässig, derartige Feststellungen zu treffen. Um es ein wenig vereinfacht auszudrücken: Wir stellen uns Gott vor, wie er alle Zusammenhänge an und in der geraden Linie erkennt. Er erkennt dann auch jedes endliche Stück z.B. d1, das für einen Menschen d stehen soll (vgl. oben das Werden und die Entwicklungsgesetze). d1 als endliche Linie kann sich nun vergrößern, verkleinern, unendlich oft mal  seine Länge vergrößern und verkleinern, in unendlich vielen Leben werden und vergehen. Alles dies, zusammen und in Beziehung zu allen anderen unendlich vielen Menschen d2, d3, usw. in allen ihren Relationen und inhaltlichen Veränderungen erkennt Gott orheitlich, urheitlich, ewig und zeitlich. Gott erkennt natürlich nicht nur, wie sich alle Menschen in ihren unendlich-vielen Leben verhalten, und erkennt dies im Verhältnis zu jenen Ideen, nach denen sich die Menschen eigentlich richten sollten. 

In derartigen Behauptungen, die sich alle aus der Logik der Linie ergeben, liegt noch kein Anthropomorphismus. Man muss auch genau beachten, in welcher unendlich und unbedingt vollkommenen Weise dieses Erkennen Gottes erfolgt und wie endlich im Verhältnis hiezu das menschliche ist. Krause weist übrigens in vielen auch wissenschaftlich präzisen Schriften immer genau darauf hin, wenn er zur Erläuterung bildhafte Ausdrücke (Bildrede) benützt. Er unterschied sehr deutlich Bildrede, Metapher von präziser Wissenschaftssprache.

"Ich kann nicht sehen, inwiefern Krause nicht genau das gleiche praktiziert, was er etwa Fichte vorwirft: Momente des individuell-zeitlichen Bewußtseins in sublimierter Gestalt in das sogenannte Absolute zu übertragen."

Diese Behauptung kann wiederum nur nach Einsicht in die Grundwissenschaft beurteilt werden. Was den Begriff des Werdens betrifft, müsste Kodalle in der Grundwissenschaft die Deduktion der Zeit als Göttlicher Kategorie heranziehen (4. Teilwesenschauung, 15. Lehrsatz), um die folgenden Behauptungen zum Werden bei Krause zu legitimieren.

"Um nur ein Beispiel zu nennen: Krause unterscheidet vom endlichen Werden »ein wesentliches, seiendes Werden«. Unterscheidungen des endlichen Denkens werden hier also in dessen Jenseits verlängert;"

Bei Einsicht in die Grundwissenschaft erweist sich eben, dass keine Verlängerung endlichen Denkens ins Jenseits erfolgt! Die Position des Werdens in der Grundwissenschaft haben wir oben  ausführlich entwickelt.

"Krause möchte verhindern, daß der absolute Geist als das Sich-Wissen, das Selbst-Innesein Gottes, verwechselt wird mit dem Gedanken der endlichen Geister (520). Dagegen insistiere ich mit Hegel: Sofern wir Gott als Entzweiung, Entäußerung denken, muß es notwendigerweise die Entäußerung ins Andere seiner selbst sein, eben in die Endlichkeit, denn eine Verdoppelung im selben Medium ist nicht zu denken. »Die Wesenheit Wesens« ist selbst kein bestimmter Begriff mehr, und insofern ist Geist zu sein »die höchste Wesenheit« Gottes als Verhältniswesen. Das Absolute schlechthin entzieht sich der begrifflichen Bestimmung via negationis."

Das ist im obigen Sinne der Philosophien der geraden Linie reiner karidonischer Hegel, wobei die Logik der geraden Linie bei Krause überhaupt nicht behandelt wird. Gott ist keine Entzweiung, Entäußerung ins Andere seiner selbst, eben in die Endlichkeit. Eine Verdopellung im selben Medium erfolgt auch nicht. Die gerade Linie o entäußert sich nicht, sondern sie ist IN sich zwei immer noch einseitig unendliche Linien i und e. Damit erfolgt weder eine Entäußerung der Linie o in ein Anderes, die Gegenheit der beiden Linien i und e ist kategorial in (LO 2) ausführlich deduziert. Diese Kategorialität müsste Kodalle erwähnen und kritisch widerlegen, wenn das Verfahren adäquat sein soll. Das Absolute entzieht sich offensichtlich nicht der begrifflichen Bestimmung! 

 "»Gewußte Wesenheit« dürfen wir darum schlicht verstehen als den Evidenzcharakter der Wahrheit aller möglichen Relationen (vgl. 521). 

Daß Gott sich mit sich entzweit, »daß die höchste und unbedingte... Vereinigung des Gottes mit Gott in sich selbst ist« (257) , kann nur als erschlossener Gedanke, aufgrund von Entzweiungserfahrung überhaupt, gelten, ebenso wie die Behauptung, daß »unser eigenes für unser Bewußtsein unvermitteltes Selbstschaun unseres Ich als ein untergeordneter durchaus endlicher Teil und als ein endliches Gleichnis des unendlichen Selbstschauen Gottes enthalten und verursacht ist« (257). 

Wie soll eine Entzweiung in Gott denkbar sein, die nicht eine in das Andere seiner selbst ist, denn schließlich ist damit doch Unterscheidung gesetzt, für die es ja wohl Kriterien geben muß, also: bestimmende Negationen. Wenn also Gott sich mit sich vereint, dann nur über seine Entäußerung."

Auch hier wird wiederum die Brille Hegels benützt. (LO 2) wird nicht erwähnt und beachtet. Die Begriffe 'Bestimmung' und 'Negation' sind ja selbst jenseits des bei Hegel benützten Schemas (aus den Kantkategorien, also der Umgangssprache und traditionellen Logik) neu zu finden! 

"Jeder Bestimmtheit-im-Gegensatz wächst allerdings ihre Wahrheitsgewißheit erst aus dem ursprünglichen Schauen zu, in welchem Endliches und Absolutes zusammenfallen."

Auch das Zusammenfallen ist wohl wieder hegelisch. Endliches und Unendliches fallen nicht zusammen; es ist gerade die Aufgabe der Grundwissenschaft, alles Endliche, alle Arten und Stufen des Unendlichen und Endlichen im Unendlichen gegliedert und strukturell zu erkennen. 

"In diesem Horizont dürfen wir dann »auf endliche Weise das eine Selbstschaun denken, womit Gott sich selbst schaut. ..« (267)."

Nicht in diesem Horizont Kodalles sondern: das Selbstschauen Wesens ist durch die Synthetische Logik (vgl. http://www.internetloge.de/krause/krlogik.pdf)  bestimmt, die innerer Teil der Grundwissenschaft ist.

"v. Die absolute Setzung als Entzweiung des Absoluten

Der Satz des Grundes bzw. der Ursächlichkeit reicht nicht in die Ursprungsdimension göttlicher Wahrheitsevidenz, denn er setzt schon innere Entfaltung, Gegensatz und Bezogenheit voraus."

Wie aber 'Gegensatz', 'Beziehung', 'Grund' usw. für die göttliche Wahrheitsevidenz von Gott selbst gedacht wird, das wird in der Linie o (von (LO 1) ausgehend deduziert.

"Wir mögen freilich erschließen , daß Gott als einzige Ursache dieser Beziehungswirklichkeit zu denken ist (580). Die höchsten Grundeigenschaften selbst sind nur als gleich-ursprünglich nachweisbar, nicht nach dem Satz des Grundes beweisbar."

Es ist richtig, dass alle Kategorien als gleich-ursprünglich zu denken sind, sie werden aber in der Grundwissenschaft Krauses nicht aus dem Satz des Grundes bewiesen.

"»Warum und wie in und aus der Einheit Gottes eine innere Vielheit und Vieleinheit werde«, ist nicht ergründbar, nur das »Daß« ist nachweisbar."

Vielleicht ist es dem Leser möglich, aus der obigen Ableitung von (LO1 - LO5) eine Vorstellung davon zu gewinnen, dass und wie in der Einheit Gottes eine innere Vielheit und Viel - Einheit sei (nicht werde!), sehr wohl ergründbar ist.

"Aber Krause unterstreicht, daß Wesen in sich ein Mannigfaltiges sei, werde sehr wohl selbst in jenem Ursprungsakt erfaßt (581)."

Es wird nicht im Unsprungsakt erfasst, sondern an der Wesenschau stufenweise deduziert.

"Der entscheidende Schritt aus der unmittelbaren Evidenz der WS heraus in die Differenzierung des endlichen Geistes hinein beginnt mit der begrifflichen Fassung dieser Beziehung: Wesenschauung. Das Begreifen erforscht das, was Wesen als Wesen denn ausmacht. Mit dieser Reflexion erschließt sich der dialektisch in der Abfolge von Thesis-Antithesis-Synthesis gegliederte Gesamtzusammenhang aller Bestimmtheiten. »Wesen« also wird nach seiner Eigenschaft als Wesenheit befragt- und damit ist die Tatsache von Gesetztheit schon in dieser Frage vorausgesetzt. Von nun an geht's wie von selbst: Wesenheit-Einheit, Selbheit und Ganzheit usw. -in etwa analog zur Hegelschen Logik (vgl. 220-223)."

Es bedeutet sicher stärkste Unangemessenheit, wenn von Kodalle behauptet wird, dass die Deduktionen in der Linie o (LO 1) in etwa analog zur Hegelschen Logik erfolge. Wir hoffen, dass unsere Ausführungen jeden zumindest davon überzeugen werden, dass diese Interpretation völlig unzulässig ist. Auch wenn man  alle Deduktionen von (LO1) bis (LO 5) als dialektische Abfolge von Thesis, Antithesis und Synthesis interpretiert, indem man ihnen aber einen anderen Sinn geben müsste als jenen bei Hegel, ergeben sich bei Krause aus dem Absoluten und Unendlichen Begriff Wesen völlig andere Momente der Abfolge. Es handelt sich hier übrigens nicht um Reflexion, sondern gottvereinte, gott-endähnliche Schau der Wesen und Wesenheiten im Sinne der Synthetischen Logik.

"Wir sahen: von der unbedingten »ungegenheitlichen« Wesenschau läßt sich keine Vermittlung zur untergeordneten »unbedingten ganzen Schauung jedes in seiner Art besonderen und endlichen Gegenstandes«, also zu der Erkenntnis der sogenannten Grundideen oder »Teilwesenschauungen« nachzeichnen (210). Krause neigt offenkundig dazu, eine solche Kontinuität des Erkenntnisprozesses anzunehmen und damit gerade seine eigene Pointe zu verschenken. Wir möchten vielmehr mit Krause formulieren: »Alles Denkbare ist von bestimmter Wesenheit. ..«. Deshalb ist es konsequent, die Formel zurückzuweisen, Gott stehe »unter dem Begriffe der Wesenheit, Ganzheit, Selbheit« (224)."

Nach der Grundwissenschaft, die Kodalle nicht benützt, gelten alle Kategorien von sich selbst und für alle anderen Kategorien. Die Kategorien Wesenheit, Selbheit, Ganzheit sind daher Wesenheiten an Gott.

"Sofern wir immer nur Bestimmtes denken können, fiele Gott tatsächlich sehr wohl unter jene Grundbegriffe. Deshalb ist immer wieder hervorzuheben, das unmittelbar Gewisse der WS ist nicht »bestimmter Gedanke«, sondern Evidenz-Erlebnis von Wahrheit als Erschlossenheit. -Es ist bemerkenswert, daß Krause selbst darauf hinweist, daß das Schauen »vor und über aller Sprache« ist, denn Sprache vollzieht sich stets in der bestimmten Entzweiung von Zeichen und Bezeichnetem (235)."

Der Begriff der Bestimmtheit ist selbst erst im Kategorienorganismus der 2. Teilwesenschauung, hier (LO LO 1.2.1) zu erkennen. Man kann nicht mit der kategorialen Brille eines Systems (hier Hegel) über die Kategorien eines anderen mutwillig verfügen. Krause behauptet nur, dass die Erkenntnisse der Grundwissenschaft jenseits der üblichen Umgangs- und Wissenschaftssprache liegen, und dass man daher auch eine neue Sprachtheorie (4. Teilwesenschauung, 8. Lehrsatz) entwickeln müsse, welche den neuen Erkenntnissen adäquat ist (vgl. oben). 

"Das Schweigen in der Evidenz der unverstellten Geistes-Gegenwart des Absoluten verrät also nicht eine Art Ohnmacht der Sprachlosigkeit, sondern ist vielmehr eine Konzentration, aus der die sprachliche Selbst- und Fremd-Verständigung »wie ein. ..Lichtglanz des Geistes« >ausbricht< {236). 

Denken wir hingegen Wesen »als alle in jeder Art und Stufe bestimmte und insofern endliche Wesen und Wesenheiten in und unter sich seiend« {120), so liegt hier bereits eine Entfaltung des Begründungsdenkens über Negationen vor, welches im Vertrauen auf jene unmittelbare Identität diese nun als Grund allen Seins bestimmen darf, in der Gewißheit, mit dieser Auseinanderlegung des Wesens den daseienden Geist Gottes angemessen darzustellen."

Der Leser wird auch hier wieder unschwer feststellen können, dass mit den Brillen Hegels an ein völlig anders strukturiertes System, herangetreten wird.

"(Die Vorstellung, als erfaßten wir das ursprüngliche Wesen, indem wir die Grenzen >wegdenken< [so 135], erscheint demgegenüber recht oberflächlich.)."

Das Verfahren, das Unendliche durch Wegdenken der Grenze zu fassen, lehnt Krause ausdrücklich ab! Er verwahrt sich gegen jede Art des Anthropomorphismus.

In der Grundwissenschaft z.B. "Gewöhnlich aber meint man, wenn man das artheitlich Eigenbestimmte als solches nur von der rein ganzheitlichen (qualitativen) Grenze befreit denke,  so schaue man ohne weiteres das unbedingt und unendlich Wesenliche, - das Göttliche selbst; und bemerkt nicht, dass man dabei die artheitlichen Eigenbestimmtheiten des Endlichen, als angebliche Eigenschaften Gottes, mit in den Gedanken Gottes hinaufnimmt. Aber es geht nicht einmal an, das artheitlich Eigenbestimmte zu entgrenzen, weil seine artheitlichen Eigenbestimmnisse nur mit, und inner bestimmter Grenze am endlichen möglich sind, ..man aber dieses, was und inwieweit es zu der alleineigenen begrenzten Wesenheit gehört, nur dadurch wissen kann, dass das Höherwesenliche, zuerst, dass Wesen nach seinen Wesenheiten und darin und dadurch auch jenes Endliche nach seiner begrenzten Wesenheit wissenschaftlich erkannt werde.

2.      Claus Dierksmeier

Die folgende kritische Auseinandersetzung erfolgt auch unter  Berücksichtigung der neu publizierten Arbeit:

Folgende Arbeiten Dierksmeiers bilden die Grundlage:

D1 Die Geschichtlichkeit des Rechts in der Methodologie der Rechtsphilosophie Karl Christian Friedrich Krauses, in: forum historiae iuris, Europäische Internetzeitschrift für Rechtsgeschichte, erscheint 2002.

D2 Karl Christian Friedrich Krause und das ‚gute‘ Recht, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie (ARSP), Sonderheft: Deutscher Idealismus, Vol. 85 (1/1999).

D3 Der absolute Grund des Rechts. Frommann-Holzboog. Stuttgart-Bad Cannstatt, 2003. http://faculty.stonehill.edu/cdierksmeier/ 

Aus D1

"Krause selbst meint nun - nicht anders als später Husserl - keinen anderen Ausgangspunkt für die Wissenserforschung gewinnen zu können, als das Ich in seiner unmittelbaren Selbstwahrnehmung. Dabei kann Krauses Phänomenologie des lebensweltlichen Bewußtseins zeigen, daß das Ich sich nicht als Grund seiner selbst oder seiner unaufgebbaren Weltvermeinungen begreift. Wird es von der methodischen Skepsis bis auf die Frage nach dem letzten Grund jener das Selbst konstituierenden Gewißheiten (Ich, der selbständige Andere, die Außenwelt) geführt, so greift es über sich hinaus auf einen unterstellten Grund von noumenaler und phänomenaler Welt aus, ganz so, wie es sich in der kantischen Rede vom 'intelligiblen Substrat' von Natur- und Geistwelt ankündigt. Doch hat der Begriff dieses Einheitsgrundes auch extramentale Realität? Kann der transitive Gehalt dieser Idee durch intransitives Denken bewiesen werden? Hierzu sagt Krause - gegen jeden Versuch einer transzendentaltheologischen Restituierung des ontologischen Gottesbeweises - Nein.

Jedoch geht es hier auch gar nicht um den 'Beweis' eines extramentalen Einheitsgrundes mittels mentaler Operationen, sondern im 'Aufweis' des Gedankens vom unvordenklichen Einheitsgrund um die Selbstdurchsichtigkeit des menschlichen Denkens als solchen. Die Legitimität regulativen Ideengebrauchs in dieser Hinsicht hatte auch Kant verfochten, doch weitergehend meint Krause unter bestimmten Bedingungen zudem einen konstitutiven Gebrauch jener Gedanken in die neuzeitliche Philosophie wieder einführen zu können."

Kritik: Krause meint nicht, unter bestimmten Bedingungen zudem einen konstitutiven Gebrauch jener Gedanken in die neuzeitliche Philosophie wieder einführen zu können. Die Kategorien der Grundwissenschaft sind a) völlig anders gebaut, als diejenigen Kants inklusive seiner Ideen, und sind b) unendliche und absolute göttliche Kategorien, die sowohl für das göttliche als auch das menschliche Denken konstitutiv sind. Es geht auch nicht nur um den 'Aufweis' des Gedankens vom unvordenklichen Einheitsgrund um die Selbstdurchsichtigkeit des menschlichen Denkens als solchen, sondern darum dass das menschliche Bewusstsein durch die Verbindung mit dem Göttlichen zur - wenn auch nur endlichen Schau - der göttlichen Kategorien gelangt und dann in einer völlig neuen epistemischen Qualität durch Anwendung einer Neuen Synthetischen Logik, und durch Benützung der Denkverfahren von Deduktion, Intuition und Konstruktion evolutionslogisch die bisherigen Erkenntnisverfahren überschreitet. 

"Möglichkeitsbedingung desselben wäre, den ins Extrem getriebenen Zweifel zu ihrer Fundierung zu nutzen; konkret: Krause zeigt, daß die im radikalen Zweifel in Frage gestellten, aber dennoch nicht durch das lebendige Bewußtsein aufzugebenden Weltthesen (Ich, der selbständige Andere, die Außenwelt) weder durch sich, noch durch das reine Ich, noch durch bloße Objektivität erzeugt, sondern als bestehend und zugleich als subjektiv hinterfragbar (Möglichkeitsbedingung des methodischen Zweifels) gedacht nur werden können unter der Voraussetzung eines übersubjektiven wie überobjektiven Grundes.

Insofern kommt der intellektuellen Vergegenwärtigung des Gedankens vom letzten aller Gründe eine Schlüsselrolle im fundamentalphilosophischen Denken zu; nicht deshalb, weil das Ich sich ohne ihn nicht im eigentlichen Sinne erfaßt (transzendentale Dimension), sondern vielmehr deshalb: Das Ich kann sich und die Welt durch die Idee des letzten Grundes allein darum adäquat begreifen, weil und sofern diese Idee eine von der individuellen Kognition unabhängige Realität hat bzw. ist (fundamentalontologische Dimension). Demnach ist es für Krause nicht das Ich, von dem her der letzte Grund gerechtfertigt wird, sondern rechtverstanden liefert der letzte Grund das Fundament, von dem her das Ich sich selbst versteht."

Zusatz: Von dem her das Ich sich selbst versteht und sich und alles was es außer und "über" sich erkennt gottvereint und gott-end-ähnlich in völlig neuen Bezügen und Begriffen (Kategorien) erkennt und relational neu konstituiert, ohne dass die bisherigen Erkenntnisse negiert würden. Sie werden lediglich in neue Bezüge eingefügt und in diesen "abgerundet" und vervollständigt erkannt.

 "Das ist Letztbegründungsmetaphysik, selbstverständlich, jedoch in durchaus unproblematischer Form: sie restringiert sich erstens darauf, nur für den zu gelten, der sie im eigenen Bewußtseinsvollzug mitgeht, und zweitens konstituiert sich so lediglich eine vorläufige Letztbegründung, da nämlich die durch den so ermöglichten Begriffshorizont zu gewinnenden Erkenntnisse nur insoweit gelten, wie sie zum einen rational unbestritten bleiben und zum anderen analytisch widerspruchsfrei rekonstruiert werden können."

Kritik: In diesem Absatz wird zum einen auf die Kodalle-Interpretation Krauses Bezug genommen, die sich, wie wir zeigten als mangelhaft erweist, weil sie gerade die evolutionslogisch wichtigsten Teile der Grundwissenschaft überhaupt nicht kritisch analysiert, sondern glaubt, die kategorialen Ausbildungen derselben als Vermittlungen aus dem menschlichen Erkennen heraus relativieren zu können (Näheres unter 1).

Es ist richtig, dass sich diese Letzbegründungsmetaphysik insoweit restringiert, nur für jenen zu gelten, der sie im eigenen Bewusstseinsvollzug mitgeht. Alle Menschen, die von der Sachgültigkeit der Grundwissenschaft überzeugt sind, bilden also in den Gesellschaften eine eigene Gruppe, die sicher nicht andere durch wesenwidrige Zwangsmittel zur Annahme derselben zwingen will. Wohl aber wird sie sich bemühen, andere Menschen hievon zu überzeugen.

Dass es sich jedoch hier nur um eine vorläufige Letzbegründung handle, da nämlich die durch den so ermöglichten Begriffshorizont zu gewinnenden Erkenntnisse nur insoweit gelten, wie sie zum einen rational unbestritten bleiben und zum anderen analytisch widerspruchsfrei rekonstruiert werden können, ist im Sinne der Wesenlehre und ihrer Intentionen eine keineswegs zulässige Interpretation. Da die Wesenlehre in ihrem "höchsten" Teil auch neue Strukturen der göttlichen und damit im weiteren der menschlichen Rationalität konstitutiv begründet, die jenseits von Zeit und Ewigkeit in der Orseinheit und Urseinheit Gottes selbst liegen, besitzen sie keinerlei Vorläufigkeit. 

So sagt Krause etwa im "Eigentümlichen der Wesenlehre": "Daher werden alle folgenden Wissenschaftsbestrebungen den Gliedbau der Wesenlehre nur nach innen bereichern und weiterausbilden, nicht aber den Gliedbau der Wesenlehre verdrängen und und jemals eine neue und andere Grundlage des ganzen Wissenschaftsgebäudes auffinden, als die ist, welche zu legen ich gewürdigt worden bin."

Wenn die kategoriale Struktur Gottes nach der Grundwissenschaft, vom menschlichen Bewusstsein als sachgültig anerkannt wird, dann bleibt sie unbestritten, wenn das menschliche Bewusstsein diese göttliche Kategorialstruktur als unzuverlässige, relativierbare Spekulation eines Denkers, Krause, betrachtet, dann bilden sie auch nicht einen Begriffshorizont, der geeignet wäre, mit ihm unbestrittene Erkenntnisse zu gewinnen. Man muss unterscheiden zwischen a) den Erkenntnissen der kategorialen Struktur Gottes (Grundwissenschaft und Synthetische Logik (vgl. http://www.internetloge.de/krause/krlogik.pdf)  und kategoriale Position aller Wissenschaften in Gott) und b) jenen Erkenntnissen die mit Hilfe dieser Erkenntnisse a) gewonnen werden, was bekanntlich in folgendem Begriffschema vor sich geht:

 

 

wo     Einer, selber, ganzer Begriff des Gegenstandes, Orbegriff; orheitliche Erkenntnisart;

wu     Urbegriff, urbegriffliche Erkenntnisart, urwesentliche Erkenntnis; 

wi      Ewigbegriff, ewigwesentliche Erkenntnisart, Ideen, Ideale, Urbilder, ideale Erkenntnisart a priori deduziert in Gott.

we     Zeitlich-realer Begriff, sinnliche Erkenntnisart in Verbindung mit den Begriffen C(2), die mit Begriffen C(1) und den beiden Bereichen der Phantasie D(1) und D(2) hinsichtlich der Natur G und der Gesellschaft G(1) gebildet werden.

     Vereinerkenntnis von wi und we als Verbindung und Vergleich der reinen Ideen mit der zeitlich realen Erkenntnis und umgekehrt.

Im Weiteren sind alle Gegensätze (z. B. wu gegen wi und we gegen wi) sowie alle Vereinigungen (z. B. wu und wi als wü, we und wu als wö usw.) zu beachten.

Die Letzbegründung ist daher nicht vorläufig, wenn auch klar ist, dass die menschliche Einsicht in die Grundkategorien Gottes als eine endliche Einsicht immer weiter entwickelbar ist. Es ist aber andererseits nicht möglich, diese Strukturen der Göttlichen Rationalität "rational zu bestreiten". Die Göttliche Rationalität ist mit ihren eigenen Argumenten kongruent und wenn eine "menschliche Rationalität", welche die Struktur der göttlichen Rationalität und der Synthetischen Logik und bestimmte im obigen Schema (wo, wu, wi, we usw.) enthaltene Begriffsteile bestreitet, so kann ein Vertreter der Grundwissenschaft nicht mehr tun, als zu versuchen, dem anderen die Möglichkeit der Einsicht in die göttliche Rationalität zu erschließen.

Die Erkenntnisse der Grundwissenschaft können auch nicht analytisch widerspruchsfrei rekonstruiert werden, weil der Begriff des Widerspruchs in der modernen formalen Logik ein anderer ist als in Grundwissenschaft.

"Ist es nämlich möglich, eine vom letzten Grund aus geführte Argumentation mit vernünftigen Gründen zu bestreiten, so ist - weil der letzte Grund der Vernunft natürlich auch der letzte Grund aller Logizität ist - der jeweilige Anspruch auf Letztbegründung bereits außer Kraft gesetzt."

Kritik: Auch hier ist zu fragen: mit welcher Vernunft wird gegen eine vom letzten Grund aus geführte Argumentation vorgegangen? Es ist richtig, dass der letzte Grund der Vernunft natürlich auch der letzte Grund aller Logizität ist, aber ich glaube nicht, dass Dierksmeier dies so sieht, wie wir es hier explizieren. Der letzte Grund der Vernunft ist die Göttliche Vernunft, deren kategoriale Struktur in der Grundwissenschaft deduziert wird. Er ist auch der letzte Grund aller Logizität, als Synthetischer Logik, nicht nur der Logizität der modernen mathematischen Logik, die in der Synthetischen Logik nur ein in vieler Hinsicht teilirriger Sonderfall ist. Diese Logizität der mathematischen, erweiterten aristotelischen Logik ist aber, wie sich aus Obigem zeigt, kein geeignetes Vehikel, um die Letztbegründung der Wesenlehre außer Kraft zu setzen.

"Die nämliche Argumentation muß entweder falsch sein oder doch zumindest unvollständig und entsprechend, die aufgekommenen Antinomien produktiv verarbeitend, modifiziert werden. (Hier liegt der metaphysische Grund für die Fähigkeit von Krauses philosophischem System, geschichtliche Entwicklung zu verarbeiten: sie ist für ihn stets die Probe aufs Exempel der Integrationsfähigkeit der philosophischen Gedankenbasis.) Der letzte Grund, wie Krause ihn denkt, ist also nicht letztbegründendes Prinzip im Sinne einer diktatorischen Beendigung noch offener Debatten, sondern gibt im Gegenteil die Kriterien zur kritischen Überprüfung all solcher Argumente her, die sich als historisch unbestreitbar ausgeben, ohne es zu sein."

Die Verarbeitungsfähigkeit geschichtlicher Entwicklungen liegt in der Grundwissenschaft darin, dass über den oben erwähnten Begriff wo, wu, wi, we usw. orheitliche wo, urheitliche wu, ewige wi und zeitliche Aspekte we stets in ihrer Gesamtstruktur (or-omheitlich) zum Einsatz kommen. Das letztbegründende Prinzip ist nicht eine diktatorische Beendigung offener Debatten, aber die göttliche Kategorialität der Letztbegründung unterliegt hinsichtlich dieser ihrer Letztbegründungsfunktion keiner Veränderung. Sie ist in keiner Weise vorläufig, ist also letzter Kanon der inhaltlichen Kriterien zur kritischen Prüfung all solcher Argumente, die sich als historisch unbestreitbar ausgeben, ohne es zu sein. Man muss aber sagen, dass die Wesenlehre von sich selbst behauptet, historisch unbestreitbar zu sein. Das hat aber jeder selbst zu überprüfen. Historisches als we erscheint im Gesamtbegriff wo, wo, wi und we im dialektischen Zusammenhang mehrerer Begriffbereiche, in die es integriert wird. Dies wird im folgenden Absatz Dierksmeiers als "regulative Lebensweltontologie" angedeutet.

"Damit stellt Krauses - nach Abschluß der phänomenologischen Reinigung und der transzendentalenphilosophischen Interpretation des Selbst - dieses in einen es und die gesamte Welt umgreifenden Horizont, von dem absteigend die Reformulierung des Subjekt- und Weltbewußtseins begonnen wird. Dementsprechend befleißigt sich das Bewußtsein, im synthetischen Abstieg die Dinge zuerst sub specie aeternitatis - nach ihrer überzeitlichen Wesenheit - und sodann nach ihrer zeitlichen Erscheinungsform zu bestimmen. Das heißt nun also gerade nicht, das Ich erstrebe mit der Metaphysik eine unhistorische Welterkenntnis; vielmehr liegt darin der Versuch, Historisches anders als nur historisierend zu erkennen. Mit anderen Worten: Diejenigen Fundamentalentitäten, die das Ich ontisch immer schon als gegeben hinnimmt - bei Krause in die Gruppen: Natur, Vernunft, Menschheit geordnet -, werden nun ontologisch reformuliert und gedeutet. Was zuvor funktionalistisch-intensionaler Begriffsgebrauch zur Beschreibung von Bewußtseinsgehalten war, wird nun versuchshalber - das heißt, auf die ausdrücklich eingeforderte Probe der Phänomengerechtigkeit hin - zu essentialistisch-extensionaler Wirklichkeitsbeschreibung im Dienste einer regulativen Lebensweltontologie. Den als extramental intendierten Gegenständen des Subjektbewußtseins werden ontische und axiologische Eigenschaften anhand des über sie empirisch verfügbaren Wissens beigemessen: realistischer Idealismus."

Kritik: Ontische und axiologische Eigenschaften werden den extramental intendierten Gegenständen des Subjektbewusstseins nicht NUR anhand des über sie empirisch verfügbaren Wissens beigemessen, sondern weil diese Gegenstände deduktiv ausgehend von der konstitutiven Struktur der Grundwissenschaft, intuitiv und synthetisch progressiv im obigen Begriff wo, wu, wi und we erkannt werden. Das empirische Wissen, selbst mit extraempirischen Begriffen, Phantasie und Sinnlichkeit erzeugt, ist darin nur ein Teil, nämlich we.

Auch in D3, wo sich Dierksmeier genauer mit der Grundwissenschaft Krauses auseinandersetzt, wiederholen sich diese Argumentationsketten.

Auf Seite S. 258 heißt es: "... seine Letztbegründungsstrategie ist performativ, nicht inhaltlich ausgerichtet, sie will sich material stets erneut an den Sachen bewähren und formal durch die historischen Einsichten korrigieren und fortentwickeln lassen. Die Selbsteinschätzung der Philosophie als argumentativ vermittelte und zwanglos akzeptierte Erkenntnis be-zweckt keine logizistische Selbstüberschätzung, sondern vorläufig letzte und insoweit auch zunächst einmal gültige, sachklärende Begründungen – mehr nicht, aber auch nicht weniger. (...) Eine direkte Abhängigkeit der Rechtsphilosophie von Krauses Wesenschaukonzept besteht augenscheinlich nicht." Hier zitiert Dierksmeier wiederum eine Überlegung Kodalles aus dem von uns oben kritisierten Aufsatz: 'In diesen synthetischen Konstruktionen finden wir die Möglichkeit des Irrtums, der je zu überholenden Resultate. [...] wissend um die Irrtumsmöglichkeit faßt das Ich Zutrauen zu seinen Deduktionen und Konstruktionen, denn allemal ist ja eines ausgeschlossen: die trügerische ideologische Totalisierung irgendeines bestehenden Endlichen zur letzten Wahrheitsgrantie.'   Dierksmeier "bildet" dann die metaphysische Verankerung der Rechtsphilosophie "in eigener Sprache nach".

Die Ansicht, dass die Letztbegründung in der Grundwissenschaft grundsätzlich nur eine vorläufig letzte sei, ist zumindest nach der Selbsteinschätzung des Systems durch Krause nicht haltbar. Die Grundwissenschaft enthält nach Krauses Ansicht Grundlagen, welche durch kein anderes oder neueres System ersetzt werden könnten, z. B. in der vorne zitierten Selbstdarstellung. Die synthetische Logik (vgl. http://www.internetloge.de/krause/krlogik.pdf) , die sich aus der unendlichen und unbedingten Wesenheit Gottes ergibt, unterliegt keiner logizistischen Selbstüberschätzung, sondern ist eine völlig neue Logik für eine völlig neue Begründung aller Wissenschaften. Selbstverständlich kann für jeden Leser eine gleichartige Beurteilung der Grundwissenschaft nur nach eigenem Studium und Urteil erfolgen oder nicht. Um die wiederum die Linie als Gleichnis zu benutzen: Die deduktive Gliederung der Linie (1) in die inneren Glieder i und e in der Linie (2) und in die unendlich vielen Teillinien, die entweder in i oder in e oder in ihnen beiden liegen, kann durch keinerlei offene Argumentationsverfahren in seiner Gültigkeit durch andere Gliederungen ersetzt werden. Wohl aber kann ein Denker, der nur von endlichen Linien in Linie (3) ausgeht und Relationen zwischen ihnen oder auch Relationen zwischen Linien in Linie (3) und den Linien (1) und (2) untersucht, zu unendlich vielen Varianten von Begründungstheorien kommen, die einander ablösen. Es liegt aber keine logizistische Selbstüberschätzung in unserer Deduktion der Linie, sondern sie bildet die einzige Grundlage für eine adäquate inhaltliche Gliederung der Linie in sich. Alle anderen sind teilirrige, einseitige oder unvollständige Theorien über die Linie mit unterschiedlichen Ergebnissen der Letztbegründung. Wenn Dierksmeier daher meint, er könne die deduktiven Inhalte der Grundwissenschaft "in eigener Sprache nachbilden", dann ist zu fragen, ob dies einen adäquaten Umgang mit einer völlig neuen Kategorienlehre und einer neuen Logik und Sprache darstellt. Es erscheint ungefähr so, als würde jemand die komplizierten logischen Deduktionen in der geraden Linie mit metaphorischen Begriffen wie "Quelle", "entlassen" usw. nacherzählen. Eigentlich müsste Dierksmeier die Inhalte der Erkenntnisse der Grundwissenschaft selbst inhaltlich kritisieren, statt sie ohne Kritik in einer vereinfachten Selbstformulierung einer anderen Sprache nachzubilden. Dem Leser wird daher empfohlen, als Ergänzung zu Dierksmeiers Selbstausführungen die Grundlegungen bei Krause selbst nachzulesen. Da der gesamte (Or-Om)-Begriff des Rechts aus dem Orbegriff wo, dem Urbegriff wu, der Idee des Rechts wi und den jeweils ermittelten empirisch-historischen Begriffen der Rechtszustände we besteht, ist natürlich der Inhalt der Begriffe we und damit das Verhältnis zu wi stets änderlich und modifizierbar. Aber an den Begriffen wo, wu und wi ändert sich auch in diesen Relationen nichts. Vgl. vorne das Kapitel: "Arten der Begriffe C".

Wenn wir nun annehmen, dass das Recht bestimmte Relationen zwischen der Unendlichkeit und Absolutheit der Linie (1), Bezüge zwischen den Linien i und e in Linie (2) und endliche Relationen in der Linie (3) betrifft, so kann eine adäquate Begründung aller dieser Relationen nur durch die Erkenntnis des gesamten logischen Stammbaums der Begriffe der Linie erfolgen. Vor allem ist die Unendlichkeit der beiden Linien i und e, die sich in Linie (2) befinden, zu beachten.

Aus diesem Grunde bedarf die Rechtsphilosophie eben der inhaltlichen Begründung im deduktiv erkannten Gesamtbau der Begriffe der Grundwissenschaft. Darum erarbeitete auch Krause eine derartig gründliche synthetische Grundlage der Rechtsphilosophie.  Von diesen grundsätzlichen Mängeln abgesehen, enthält das Werk Dierksmeiers D3 eine gründliche Aufbereitung der Rechtsphilosophie mit vielen Hinweisen auf die bisherige Wirkungsgeschichte derselben im Krausismo und außerhalb desselben. Durch Bezüge zu derzeitigen Rechtsniveaus und Rechtstheorien werden auch die evolutiven Potenziale der Krause'schen Rechtsphilosophie an vielen konkreten Stellen sichtbar gemacht. Wenn aber im Prospekt des Verlages zu D3 davon gesprochen wird, dass hier "die weltweit erste argumentative Rekonstruktion der Philosophie Krauses" vorgelegt würde, so dürfen unter Hinweis auf die in unserem Aufsatz entwickelte Kritik an dieser Feststellung Zweifel angebracht werden.

Zu D2

Das Problem der neuen Wissenschaftssprache Krauses

Dierksmeier schreibt richtig, dass Krause in seiner Wissenschaftssprache eine logisch-semantische Grammatik entwirft, um die Sprache dem Begriff anzupassen. Um Krause für den gegenwärtigen Diskurs nutzen zu können, müsse man ihn zuallererst 'übersetzen'. Seine Sprache mache auch verständlich, dass es nicht sinnvoll sei, Krause aufs Geratewohl zu zitieren. Dierksmeier führt daher eine Auswahl durch, und benützt nur zitierfähige Texte direkt.

Kritik: Wir stehen hier offensichtlich vor einem praktischen kommunikativen Problem: Wie soll man einerseits die Wesenlehre für einen modernen Leser fruchtbar machen, der die Wissenschaftssprache Krauses nicht kennt, andererseits aber bei einer "Übersetzung" dieser Sprachlogik in die Termini modernen philosophischen Sprachgebrauchs verhindern, dass eine Verwässerung, Ausdünnung oder gar Verzerrung der Göttlichen Begrifflichkeit entsteht, die als axiologische Fundamentalstruktur sich in dieser Sprache selbst zeigt. 

Nach unserer Ansicht muss eine 'Übersetzung' der Or-Om-Sprache der Wesenlehre in Sprachformen und –Strukturen traditioneller philosophischer Sprachen, auch in moderne Mischungen aus Tradition und Sprachneuschöpfungen in der Postmoderne einen Adäquanzverlust gegenüber dem Original darstellen. So wie, zumindest nach Ansicht Krauses, seine Grundwissenschaft eine die etablierten Erkenntnissysteme weit überschreitende Neuerung darstellt, so stellt natürlich die im Göttlichen als Wesensprache deduzierte Sprachstruktur (vgl. oben) gegenüber etablierten sozial und wissenschaftlich benützten Sprachsystemen eine evolutionslogische Neuerung dar. Eine 'Übersetzung' in moderne Sprachfiguren könnte daher die Gefahr einer reduzierenden Rückübersetzung von Neuerungen ins Alte bedeuten, zumal mit Sicherheit davon auszugehen ist, dass die evolutiven Aspekte der Grundwissenschaft im modernen Philosophiebetrieb keineswegs überholt sind, sondern umgekehrt gerade der postmoderne Zustand der Philosophie und das Erfordernis integrativ-globaler Human- und Wissenschaftsansätze eine Belebung der universalen Grundwissenschaft empfehlen.

Die im Sinne einer Rezeptionspragmatik sicherlich erwägenswerte vereinfachte 'übersetzende' Darstellung dürfte sich daher immer ausdrücklich nur als eine approximative Andeutung der Potenziale der Grundwissenschaft und der mit ihr innerlich kompatiblen Wesensprache (Universalalphabet) verstehen, nicht jedoch als eine inhaltlich kongruente, inhaltlich adäquate Übersetzung der Begriffe der Grundwissenschaft und deren Sprachrepräsentanz im das Medium modernen Diskurses. 

Wie schon oben gesagt: Die 'Rückübersetzung' im Vorhof darf nicht dazu führen, das hierdurch die Türe zur Grundwissenschaft vermauert wird.

An einigen Beispielen möge gezeigt werden, dass die Reformulierung bestimmter Begriffe der Grundwissenschaft durch Dierksmeier in modernen Konnexen sicherlich problematisch ist. Er schreibt etwa: Wesenheiten sind bei Krause alle Gegebenheiten, die in ihrer internen Struktur bereits von sich her – und eben nicht nur umweltlich bedingt – auf sowohl ihr eigenes 'Wesen' als auch auf das Andere ihrer selbst, letztlich auf ihre Umwelt, verweisen. Ihr eigenes Wesen stellt dabei für sie ein erst von ihnen über den Umweg über das Andere des Selbst einzuholendes Ziel dar.

In dem von Dierksmeier zitierten II Teil des Systems der Philosophie sind aber die Wesenheiten jene Kategorien, die an und in der unendlichen und absoluten Wesenheit Gottes deduziert werden (3.Teilwesenschauung). In diesem Sinne stellt ihr eigenes Wesen für sie nicht erst ein von ihnen über den Umweg über das Andere des Selbst einzuholendes Ziel dar. Der Begriff des Anderen, der Andersheit ist selbst eine wichtige Wesenheit der 2. Teilwesenschauung, für Gott gibt es aber kein Anderes außer sich, sondern nur ein Anderes in ihm. Die 'Übersetzung' Dierksmeiers entfernt sich hier sehr weit von den tatsächlichen Gegebenheiten der Grundwissenschaft.

Dierksmeier sagt zutreffend, dass es nicht genügt, Krauses Rechtsphilosophie abzüglich seiner Metaphysik zu thematisieren, wobei er aber, wie im folgenden ersichtlich, selbst dieser Tendenz zu verfallen scheint. Er versucht wiederum, in kurzen Sätzen den Theorietyp der Wesenlehre anzudeuten. Es heißt hier u.a.:

"Das Konzept dieses Absoluten ('Wesen') ist nun nicht kantischen, sondern eher spinozistischen Zuschnitts, insofern als in ihm eine natura naturans ('Urwesen') und eine natura naturata ('Wesenheit') in spezifisch unterschiedener Weise vereint werden. Gott ist in beide untergliedert und umfasst beide als Einheit ('Omwesen'). Dies ermöglicht eine Fundierung aller Einzeldinge innerhalb des Absoluten als dem Grund (natura naturans) und der Ursache (natura naturata) jedes Seienden. Die Nachvollziehbarkeit der in der Zeit gewordenen Ordnung der Dinge im Absoluten durch Theorie ist die epistemologische Schicksalsfrage dieses Ansatzes. Sie teilt sich bei Krause auf in zwei Wege – Aufstieg und Abstieg – zu denen die Theorie eines Selbstverhältnisses des Absoluten (Gotteslehre im engeren Sinne) als Erklärungsgrund hinzutritt.

Der Status dieser Gotteslehre ist differenziert nach der systematischen Funktion des Gottesbegriffes für das Theorieganze. Im Zusammenhang der Rechtsphilosophie, und das ist entscheidend, werden kaum Aspekte in Anspruch genommen, die im herkömmlichen Sinne rechtstheologisch zu nennen wären. Daraus wiederum folgt, dass die von Krause im Medium seiner Gotteslehre entfalteten Reflektionen in säkulare Termini übersetzt und auch dann als gültig erachtet werden können, wenn man den bei Krause ebenfalls, beispielsweise im Rahmen seiner Religionsphilosophie, virulenten spekulativen Theismus nicht teilt.

Unabhängig davon, dass man nach diesen Zeilen nun nicht wissen kann, ob Dierksmeier selbst diesen spekulativen Theismus anerkennt oder selbst für nicht relevant hält, sind die obigen Erörterungen wiederum aus der Wesenlehre selbst heraus nicht haltbar. Die höchste Kategorie ist nicht 'Urwesen'. Urwesen ist Wesen (Gott) erst, soweit Wesen über allem ist, was Gott in sich ist (2.Teilwesenschauung). Die höchste Kategorie ist Wesen als Or-Wesen (Un-Gegenwesen). Den Begriff der Wesenheit als natura naturata zu bezeichnen ist sicherlich unsachlich, denn in der Grundwissenschaft heißt es: Wesen ist Wesenheit, Gott ist Gottheit. Wesenheit (essentia) ist nicht einmal noch  Sein oder die Seinheit (existentia), sondern das was Wesen ist. Wesens Wesenheit ist mit Wesen gleichumfassig, Wesen und Wesenheit sind also ganz aneinander gedacht. Es ist auch unrichtig wenn Dierksmeier schreibt: Gott ist in beide untergliedert und umfasst beide als Einheit ('Omwesen'). Der Begriff Omwesen ist wesentlich anders strukturiert. Er umfasst alles, was Gott an und in sich ist. Es ist auch unrichtig das Absolute (natura naturans) als Grund zu bezeichnen, da Grundheit eine eigene, erst abzuleitende Kategorie darstellt. Die Gleichsetzung von Ursache mit natura naturans ist ebenfalls nicht haltbar, da Grundheit und Ursache beide als innere Kategorien der Wesenheit deduziert sind. 

Der Vergleich der Wesenlehre mit dem System Spinozas ist ebenfalls nicht zulässig, wenn man die elaborierten Strukturen der Grundwissenschaft betrachtet und sie mit jenen bei Spinoza vergleicht bzw. die Krausekritik Spinozas berücksichtigt.

Die Vorstellung man könne die von Krause im Medium seiner Gotteslehre entfalteten Reflektionen in säkulare Termini übersetzen und auch dann als gültig erachten , wenn man den bei Krause ebenfalls, beispielsweise im Rahmen seiner Religionsphilosophie, virulenten spekulativen Theismus nicht teilt, nährt unsere Befürchtung, dass mit dieser These im Vorhof zur Grundwissenschaft der Eingang in dieselbe nicht geöffnet, sondern zugemauert wird. Die Übersetzung der Begriffe der Grundwissenschaft, die natürlich mehr sind als im Medium der Gottlehre entfaltete Reflektionen, in säkulare Termini muss zu Substanzverlust und Verwässerung, Relativierung und Einschmelzung in ein (postmodernes) Amalgam führen, und der Rekurs auf die Prinzipien etwa der Rechtsphilosophie, die sich aus der Grundwissenschaft ergeben, ohne den 'spekulativen Theismus zu teilen' übersieht die zentrale Pointe der Grundwissenschaft überhaupt, dass nämlich alles als an oder in der Absoluten Unendlichkeit der göttliche Essenz zu erkennen ist. Natürlich faszinieren auch den modernen Philosophen die progressiven Ansätze der Rechtsphilosophie, aber diese abzüglich seiner Metaphysik zu thematisieren, ist im Sinne der Wesenlehre unzulässig. Letztlich wird keine Gesellschaft mobilisier- und motivierbar sein, diese Rechtsprinzipien einzuführen, wenn nicht zumindest rudimentär in ihren Mitgliedern die metaphysischen Prinzipien, auf denen sie beruhen, ebenfalls erkannt und gelebt werden. Umgekehrt konnte Krause nur deshalb eine auch für uns heute noch progressive Rechtsphilosophie elaborieren, weil er sie eben als inneren Teil seiner neuen progressiven Grundwissenschaft erkannte, in denen die Prinzipien des Rechts sich in völlig neuen Zusammenhängen ergeben.

Die Rechtsphilosophie Krauses ohne seine metaphysischen Implikationen zu benützen ist ähnlich zu sehen, wie die Benützung einer neuen medizinischen  Behandlungsanweisung für die menschliche Hand in einem Medizinlehrbuch, ohne die Gesamttheorie des menschlichen Körpers, etwa der Nerven-, Blutgefäß- und sonstigen Systeme des Lehrbuches überhaupt zu berücksichtigen. Daraus werden sich sowohl theoretische wie auch praktische Probleme ergeben.

Wenn man die Nachvollziehbarkeit der in der Zeit gewordenen Ordnung der Dinge durch Theorie als eine epistemologische Schicksalsfrage des Kategorialorganismus der Grundwissenschaft betrachtet, sollte man nicht umgekehrt fordern, dass die Rechtsphilosophie nicht abzüglich der sie begründenden Metaphysik thematisiert werden sollte. Eine reduzierende Übersetzung der Grundwissenschaft in säkulare Termini unter Opferung des 'spekulativen Theismus' bzw. seine nivellierende Betrachtung in  Verbindung mit anderen metaphysischen Systemen ist zwar ein subjektiv bei Dierksmeier nachvollziehbares Vorgehen, hat aber mit den Intentionen der Krauseschen Philosophie nichts zu tun. Hinzu kommt, dass manche Übersetzungen Dierksmeiers, wie das obige Beispiel zeigt, die Begriffe der Grundwissenschaft in unzulässiger Weise und ohne Beachtung der Position derselben in der Gesamtstruktur in völlig inadäquate, andere Konnexe transferiert. Niemand würde die Übersetzung der Begriffe der Allgemeinen Relativitätstheorie in die Konnexe der Aristotelischen Kosmologie für sinnvoll erachten.

3.    Ergebnis

Was geschieht durch unsere Kritik mit dem zarten Pflänzchen, das durch die Arbeiten zur Grundwissenschaft Krauses in Deutschland zu wachsen beginnt? Es gibt der Pflanze die Möglichkeit aus relativierendem Dunst und Beengung gegen jenes Licht zu wachsen, das in seinem Inneren sein Entstehen bedingte.

Was geschieht mit dem Vorhof? Der Leser wird angeregt, die Türe zu den Hallen aufzustoßen und in die Hallen einzutreten, die eine neue Zukunft für ihn und die Menschheit bedeuten.

 

File:KrausesMetaphysikinDeutschlandhtm.htm